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Die Pfarrerstochter hat sich durchgesetzt

Schon Angela Merkels Wahl zur CDU-Vorsitzenden im Jahr 2000 war ein politisches Wunder

Von Ulrich Scharlack
Berlin (dpa). Seit Tagen schwebte Angela Merkel über den Wolken. Schon seit einer Woche, seit der Wahl in Nordrhein-Westfalen, wusste die CDU-Vorsitzende, dass ihr die Kanzlerkandidatur der Union nicht mehr zu nehmen war.

Erste zu sein - diese Erfahrung hat die Pfarrerstochter aus Templin in Brandenburg mehrmals gemacht. Erst mit 35 Jahren kam die Physikerin in die Politik - zunächst als »Mädchen für alles« im Demokratischen Aufbruch während der Wende in der DDR. Schon nach ein paar Monaten war sie stellvertretende Regierungssprecherin. Mit 36 wurde sie Ministerin, das »Küken« in Helmut Kohls Kabinett. Nicht jeder der Kabinettskollegen nahm sie anfangs so richtig ernst.
Als die CDU in die Opposition gehen musste, wurde sie 1998 mit 44 Jahren Generalsekretärin, als erste Frau, als erste aus dem Osten. Während der Spendenkrise scharte sich die Partei um sie, weil sie als erste in der Führung die Abnabelung von der Kohl-Ära verlangte und anders als der damalige Parteichef Wolfgang Schäuble unbelastet war.
Schon ihre Wahl zur CDU-Vorsitzenden im Jahr 2000 war ein politisches Wunder. Sie, die in zweiter Ehe verheiratet und kinderlos ist, Protestantin noch dazu, passte nie zum Bild der »alten« CDU, dieser männer- und westdominierten Partei mit katholischen und konservativen Wurzeln. Und schon gar nicht entsprach sie den Erwartungen der »bayerischen Schwester« CSU.
Merkel, die Außenseiterin, hat sich durchsetzen müssen. Sie hatte nicht schon als Jugendliche das Kungeln gelernt. Da lebte sie noch in ihrer Nische in der DDR. Alles, was zum politischen Handwerk gehört, hat sie sich im Schnellkurs aneignen müssen. Als Nachteil empfand sie es, nicht über eine Hausmacht zu verfügen. Ihre engsten Verbündeten in der Partei waren bezeichnender Weise auch erst einmal Frauen.
Ihre Analysekraft beeindruckte schon früh. Merkel riskierte viel, als sie im Irak-Konflikt einen pro-amerikanischen Kurs vertrat. Innenpolitisch wollte sie sich an die Spitze der Reformkräfte in Deutschland stellen. Damit brüskierte sie die CSU.
Schließlich gab es auch in der bayerischen Schwesterpartei keine entscheidenden Widerstände mehr gegen ihre Kandidatur, die sie nach der vorgezogenen Bundestagswahl als erste Frau ins Kanzleramt führen könnte.

Artikel vom 31.05.2005