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Weiche Schale - harter Kern

Die Allianz Arena in München setzt architektonisch Maßstäbe

München (dpa). Glühend rot wie ein Feuerball oder luftig blau wie der bayerische Himmel - die Farbenspiele an der futuristischen Fassade lassen an der Bestimmung des federleicht und monumental zugleich wirkenden Bauwerks keine Zweifel.

Die Münchner Allianz Arena, die gestern mit der Partie zwischen 1860 München und dem 1. FC Nürnberg - die gastgebenden »Löwen« siegten 3:2 (1:2) - eröffnet wurde, wurde für den Fußball gebaut. Das Plädoyer der 2874 rautenförmigen Luftkissen für aggressiven Kampf und leichte Eleganz setzen die Schweizer Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron mit einem nüchternen Interieur kompromisslos fort. »König« Fußball allein regiert in dem 340 Millionen Euro-Stadion.
Auf dem trostlosen Gelände im Münchner Norden haben die Baumeister aus Basel in direkter Nachbarschaft zu zwei Müllbergen und einer vor sich hin müffelnden Kläranlage ein avantgardistisches Kunstwerk mit magischer Ausstrahlung errichtet. Beim Anmarsch auf der »Esplanade«, unter der in Europas größtem Parkhaus fast 10 000 Autos verschwinden, löst der Blick auf die Kunststoffhülle Glücksgefühle aus, die de Meuron als »Poesie für den Fußballfan« beschreibt. Stadion-Geschäftsführer Bernd Rauch fühlt sich beinahe an den Starnberger See versetzt: »Zu jeder Tageszeit wirkt das Stadion anders. Die Dynamik, der Lichteinfall...«
Beim Einstieg in das »Schlauchboot« von Fröttmaning ist der Zauber erst einmal vorbei. Die Schwerelosigkeit der genial simplen und zugleich raffinierten Außenhaut weicht im Innern einer gewissen Brutalität. Der graue Beton und die im dezenten Silbergrau gehaltenen Sitze auf den steil bis unter das runde Dach nach oben ragenden Ränge sind Inszenierung für den Wettkampf. Mit dem Kessel für 66 000 Zuschauer habe man in Anlehnung an die »alten, hässlichen englischen Stadien« die Idee von der »Geschlossenheit des Raumes« umgesetzt, erklärte de Meuron, »die Energie und der Geist des Spiels können nicht entweichen«.
Damit »alle Konzentration dem Fußball« gelte, wurde das Stadioninnere »ohne optische Spielereien« konzipiert. Die in sanftem Blau gehaltenen Werbebanden des Versicherungskonzerns, der der Arena für angeblich 90 Millionen den Namen gibt, lenken nicht ab. »Das nur dem Fußball und seiner räumlichen Suggestion gewidmete Stadion bezieht auf eindeutige Weise Stellung. Der Fußballplatz ist ein Kampfplatz. Der Zuschauer wird zum Teil einer kalkulierten Raumdramaturgie«, schwärmte das Feuilleton der »Süddeutschen Zeitung« in einer Betrachtung.
Allein die bis zu 240 000 Euro teuren Logen der Privilegierten unterlagen nicht dem Diktat der Architekten. Von der gemütlichen Bauernstube bis zum kühlen Designer-Studio ist jede Geschmacks- und Stilrichtung vertreten. Auch die Business-Lounge, kitschig schön mit einer güldenen Ornamentdecke ausgestattet, ist den Sonderzahlern vorbehalten.
Der Hamburger Architekt Volkwin Marg, beim damaligen Wettstreit einer der Verlierer, warf den Siegern »Inszenierungs-Architektur« vor und beanstandete die Tendenz, »die Hülle vor den Inhalt zu stellen«. Aber gerade die von Herzog&de Meuron gewollten »großen Gefühle« sind der längst fällige Gegenpol zu den herkömmlichen Fußball-»Fabriken« samt Rollrasen, Aida-Oper und Biathlon-Wettkämpfen.
Die vielfach ausgezeichneten Schweizer setzen ihre »Architektur der Sinne« mit außergewöhnlichen Projekten fort. Das Stadion für die Olympischen Spiele 2008 in Peking wird bereits gebaut. Der Clou der Arena, die an ein riesiges Vogelnest erinnert: Das Stadiongerippe wird nicht eingehüllt, sondern selbst zur Hülle. In Hamburg ist die Elbphilharmonie in der Planungsphase. Auf einen alten Hafenspeicher werden zwei Konzertsäle und ein Luxushotel gesetzt - wie eine leuchtende Krone.

Artikel vom 31.05.2005