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Ohne Kinder keine Zukunft

Evangelischer Kirchentag fordert Kurswechsel in der Familienpolitik

Hannover (dpa). Mit einem Appell zu einem Kurswechsel in der Familienpolitik und einem feierlichen Gottesdienst ist gestern der 30. Deutsche Evangelische Kirchentag in Hannover zu Ende gegangen. Vor mehr als 100 000 Menschen sagte Kirchentagspräsident Eckhard Nagel, »eine Gesellschaft ohne Kinder hat keine Zukunft«.
An Kindern dürfe nicht gespart werden. Finanzielle Anreize allein reichten aber nicht aus. Eine Umkehr im Denken sei notwendig, um eine familienfreundliche Gesellschaft zu schaffen.
Auch Altbundespräsident Johannes Rau mahnte auf dem Kirchentag eine kinderfreundlichere Politik an. »Unsere Gesellschaft ist zwar nicht kinderfeindlich, aber sie ist viel zu wenig auf Kinder eingestellt«, sagte Rau. Junge Eltern und vor allem junge qualifizierte Frauen bräuchten ein gesellschaftliches Klima, das sie bei einem Leben mit Kindern unterstütze. »Wo es nur noch um Flexibilität geht, da ist kein Platz für Kinder.«
Rau sagte weiter, die Gesellschaft müsse mit ihrer Form des Wirtschaftens und Konsumierens »noch viel mehr Rücksicht nehmen auf die Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder.«
Zum Thema Generationengerechtigkeit sagte Rau, die private Altersvorsorge werde noch wichtiger werden als bisher schon. Zudem betonte er aber: »Ich wünsche mir, dass in Deutschland niemals Wirklichkeit wird, was wir andernorts schon beobachten können, dass nämlich in Altenheimen die Menschen sich vor allem für die Aktienkurven interessieren, weil sich dort entscheidet, ob sie sich ihren Platz im Heim noch weiter werden leisten können.«
Christen aus ganz Deutschland und fast 90 weiteren Ländern waren zu dem fünftägigen Treffen gekommen.
Bei sommerlichem Wetter strömten die Gläubigen gestern auf einen großen Platz in der Innenstadt. Dort waren 80 Altäre für die Abendmahlsfeier aufgebaut. 4000 Bläser, ein Jugendchor und eine Trommlergruppe machten Musik.
»Das Fest des Glaubens hat uns gut getan, das war wie Weihnachten bei 30 Grad«, hatte die hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann am Samstag Bilanz gezogen. Die Christen hätten Mut zur Zukunft ausgestrahlt in einer Zeit, in der alles nur düster gezeichnet werde. »Dieser Kirchentag war ein Segen.«
Bei dem fünftägigen Christen-Treffen standen 3000 Einzelveranstaltungen auf dem Programm.
Geprägt wurde der Kirchentag von gesellschaftspolitischen Debatten um Kapitalismus-Auswüchse und soziale Gerechtigkeit. Fast die gesamte Staatsspitze mit Bundespräsident Horst Köhler und Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sowie viele andere führende Politiker waren nach Hannover gekommen. Schröder rief zu einem verstärkten Kampf gegen die weltweite Armut auf.
Viele Bischöfe mahnten die Unternehmer in Deutschland, auch ihre soziale Verantwortung wahrzunehmen und nicht nur das Gewinnstreben in den Vordergrund zu stellen. Landesbischöfin Käßmann kritisierte eine kinderfeindliche Einstellung: »Wer nur Mobilität und Geld als Wert kennt, wem Egomanie und der DAX zum Götzen werden, in dessen Welt haben Kinder wahrhaftig keinen Platz.« Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, sagte, die Kirche wolle das soziale Profil der Wirtschaftsordnung schärfen.
Politiker wie die CDU-Chefin Angela Merkel hoben die Bedeutung christlicher Werte für die Zukunft der Gesellschaft hervor. Wahlkampfparolen waren beim Kirchentag trotz der geplanten vorgezogenen Bundestagswahl nicht hören. Zuvor war befürchtet worden, das Christen-Treffen könne als Wahlkampfbühne missbraucht werden.
Nach Ansicht von Kirchentagspräsident Nagel hat der Kirchentag in Hannover auch das Thema Ökumene vorangebracht. Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, bekräftigte unter Applaus die Sehnsucht nach einem gemeinsamen Abendmahl von Katholiken und Protestanten. Derzeit werde allerdings längst nicht einmal das gemacht, was möglich sei: »Ökumenische Gottesdienste sind immer noch etwas Besonderes.« Lehmann und der EKD-Ratsvorsitzende Huber bekräftigten, dass es zum zweiten Ökumenischen Kirchentag im Jahr 2010 in München keine Alternative gebe.
Zum Abschluss des Gottesdienstes luden gestern der Trierer Bischof Reinhard Marx zum Katholikentag 2006 nach Saabrücken und der rheinische Präses Nikolaus Schneider zum nächsten Evangelischen Kirchentag 2007 nach Köln ein.

Artikel vom 30.05.2005