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Kommentar
Frankreichs Nein zur EU-Verfassung

Warnsignal ernst nehmen -
Europa hat noch eine Chance


Von Dirk Schröder
Eine große Überraschung war das Nein der Franzosen zur Europäischen Verfassung zuletzt nicht mehr, auch wenn man insgeheim noch gehofft hatte, auf der anderen Seite des Rheins würden sich die Bürgerinnen und Bürger doch noch anders besinnen. Ein schwerer Schlag für die weitere Entwicklung Europas war dieses »Non« auf jeden Fall, diese Krise wird sich nicht von heute auf morgen beheben lassen.
Auf der anderen Seite kann der Ausgang des Referendums in Frankreich sich auch als ein heilsamer Schock erweisen. In den vergangenen Jahren ist vieles vielen Bürgern zu schnell gegangen. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, um innezuhalten. Aus diesem Prozess kann Europa womöglich gestärkt hervorgehen.
Für den französischen Präsidenten Jacques Chirac rächt sich, dass er aus innenpolitischem Kalkül eine Volksabstimmung angesetzt hatte. Dieser Schuss ist nach hinten losgegangen. Es reicht jetzt aber nicht, dass er nur die Regierung auswechselt. Die Schuld für diese Niederlage trägt vor allem er selbst. Doch die politische Verantwortung zu übernehmen, bedeutet heutzusage längst nicht mehr, auch die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Dafür hat in letzter Zeit auch so mancher deutsche Politiker ein beredtes Beispiel gegeben.
Das französische »Non« war aber nicht nur ein Ventil für innenpolitischen Unmut. Es war ebenso ein Warnsignal, das in allen 25 Mitgliedsländern wahrgenommen werden sollte. Das »einfache Volk« empfindet den Moloch Brüssel zunehmend als zu groß, zu kompliziert und zu teuer. Die Regulierungswut der EU-Behörden, die Eingriffe in gewachsenen nationalen Rechtsordnungen, aber auch die nicht zu unterschätzenden Konkurrenzängste im Zusammenhang mit der Erweiterung haben die Menschen immer weiter von Europa entfernt.
Dieses Warnsignal muss ernst genommen werden, wenn die europäische Idee nicht in einer Sackgasse landen soll. Darüber aber nur lamentieren und dann wieder zur Tagesordnung übergehen ist jedoch der falsche Weg. Der Zeitpunkt ist gekommen, um mit den Bürgern die bisher versäumte Grundsatzdiskussion nachzuholen.
Die Verfassung ist nicht ideal, aber immer noch besser als der geltende Vertrag von Nizza. Die Verfassung stärkt und schwächt nicht die nationalen Parlamente. Auch das Gerede von einem Souveränitätsverlust der Einzelstaaten ist unbegründet, und schließlich schafft erst die Verfassung den Rahmen für eine handlungsfähige und so wichtige Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Das müssen die Politiker dem Wahlvolk aber endlich einmal erläutern. Bisher haben sie die Menschen jedenfalls nicht erreicht, sie haben es ja nicht einmal versucht. Da müssen sie sich nicht wundern, wenn die Bürger mit Ablehnung reagieren.
Europa ist zurückgeworfen worden, hat aber noch eine Zukunft.

Artikel vom 31.05.2005