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Leitartikel
Angela Merkel macht's

Entscheid nicht im Friseur-Salon


Von Rolf Dressler
Noch ist die Erinnerung lebendig: Im Deutschland-Wahlkampf 1998 gebärdete sich der SPD-Kanzleramtsbewerber Gerhard Schröder wie ein neuzeitlicher Gladiator. Allenthalben breitete der Liebling der Medien mit schwungvoller Gestik die Arme aus, gerade so, als wollte er nicht nur das heimische Wählervolk, sondern gleich auch noch die ganze Welt zu seinen Füßen umarmen.
Heute nun, im Frühjahr 2005, schickt sich eine Christdemokratin voller Elan an, eben jenen Gerhard Schröder, den Triumphator von damals, endgültig zu entzaubern. Angela Merkel möchte die Roten und die Grünen ablösen. Und zwar - im besten Sinne des Wortes - mit aller gebotenen Macht. Dies ist nicht die Zeit für Selbstzweck-Spiele. Die Messlatte muss sehr hoch gelegt werden, weil unser Land beschämend tief heruntergewirtschaftet worden ist. Wirtschaftlich. Sozialpolitisch. Finanziell. Die Folgen sind bekannt.
Wenn's nicht so traurig wäre: Jetzt plötzlich haben es viele amüsanterweise schon immer gewusst, dass Gerhard Schröder auf Dauer eben doch nicht wirklich der richtige Mann auf der Kommandobrücke sei. Genug ist genug, nach dieser Devise rechnen nun vorwiegend auch solche Blätter gnadenlos mit dem SPD-Superstar von (vor-)gestern ab, die ihrer Lichtgestalt bis vor kurzem noch durch Dick und Dünn gefolgt waren. Der Kanzler und seine rot-grünen Weggefährten könnten nur mit Blindheit geschlagen sein, wenn sie den Leuten das Gemurkse ihrer 6 1/2 Berliner Regierungsjahre im bevorstehenden Wahlkampf-Ringen 2005 auch noch dreist als fortschrittliche Politik verkaufen wollten, schreibt etwa die »Frankfurter Rundschau« - deren Mehrheitseigentümer übrigens die SPD ist.
Andere Kommentatoren kreiden Schröder heftigst an, vor allem er, Franz Müntefering und Wolfgang Clement hätten die ewigen Werte der Sozialdemokratie verraten. Ja, sie führten sich auf wie eigensüchtige Manager. Nur sich selbst im Blick hätten sie ihre Partei ge- fühllos reif gemacht für die Schlachtbank.
Von Stund an zieht auch nicht einmal mehr der süffisante Hinweis auf die angeblich unvorteilhafte Haartracht der gestern würdig gekürten Kanzler-Bewerberin von der Union. Und wohl ebensowenig die beinahe schon niedlich-törichte Warnung (der »Süddeutschen Zeitung«) vor einer angeblichen »Risiko-Regierung« von CDU/CSU und FDP mit »einer Art Angela Rüttgers« als künftiger Kanzlerin.
Agenda Arbeit statt Agenda 2010 - wenn dieses Umschalt-Signal im Wählervolk »zündet«, kann das unserem Land und sei- nen rot-grün-kraus gekämmten Menschen zu ganz neuen Perspektiven verhelfen.
So oder so aber stimmen die Deutschen am 11. oder 18. September nicht (mehr) über männliche und/oder weibliche Frisuren ab. Einen Aufbruch, der möglichst allen Anteil, Freude und Nutzen bringen soll, organisiert man jedenfalls nicht im Friseur-Salon.

Artikel vom 31.05.2005