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Die Route ist mehr als 1600 Kilometer lang.

1000 Meilen durch Italiens Frühling

Prominente aus Ostwestfalen bewältigen das berühmte Oldtimerrennen »Mille Miglia«

Von Christian Althoff
Bad Oeynhausen (WB). Eine Woche danach ist der Muskelkater aus dem Gesäß verschwunden, aber der Glanz in den Augen geblieben. »Das war das Erlebnis meines Lebens!«, schwärmt Prof. Dr. Reiner Körfer (63). Der Herzchirurg aus Bad Oeynhausen ist die Mille Miglia mitgefahren - das wohl berühmteste Rennen für historische Autos, das an drei Tagen über 1000 Meilen von Brescia nach Rom und zurück führt.
Auf dem Weg durch die Toskana: Herzchirurg Dr. Reiner Körfer sitzt auf dem Beifahrersitz, gesteuert wird der 76 Jahre alte Mercedes SSK (Super Sport Kurz) von Unternehmer Cäsar Siemes. Ein Sportwagen dieses Typs war vor kurzem in London für vier Millionen Euro versteigert worden.Ein historisches Bild: Zuschauer jubeln 1932 einem Alfa Romeo-Fahrer zu. Alfa war in jenem Jahr auf den ersten 20 Plätzen 17 Mal vertreten.

Körfer hatte sich für die drei Renntage auf den ledernen Beifahrersitz eines Mercedes' 720 SSK Kompressor von 1929 gezwängt, der von seinem Freund Cäsar Siemes (70) aus Mönchengladbach gesteuert wurde, dem Inhaber der Siemes-Schuhmärkte. Nur 37 Wagen dieses Typs hatte Mercedes zwischen 1928 und 1932 gebaut, 13 sind heute noch erhalten.
Das Abenteuer hatte am 19. Mai im norditalienischen Brescia mit der peniblen Überprüfung der 373 gemeldeten Fahrzeuge begonnen: »Die Regeln sind streng. Wagen, an denen Originalteile durch Nachbauten ersetzt worden sind, dürfen nicht teilnehmen«, erklärt Körfer. Bereits im Vorfeld hatten die Organisatoren jeden zweiten Antrag auf Teilnahme abschlägig beschieden. So dürfen bei der »MM« nur Autos aus den Jahren 1927 bis 1957 mitfahren - aus jener Zeit, als das klassische Mille Miglia-Rennen ausgetragen wurde, das erst seit 1982 wieder gefahren wird.
Um 20 Uhr war es so weit. Die Autos aus aller Herren Ländern wurden im Abstand von 20 Sekunden auf die erste Etappe von Brescia nach Ferrara geschickt, 250 Kilometer durch die Po-Ebene. »Da hängt überall der Gestank von Schweineställen in der Luft, aber man ist viel zu angespannt, als dass man sich gestört fühlt«, erinnert sich Reiner Körfer. Er hatte als Co-Pilot im Wagen mit der Startnummer 55 das Roadbook mit der detailliert beschriebenen Strecke auf dem Schoß und musste zuweilen sechs Stoppuhren bedienen: »Es gab unterwegs etliche Prüfungen, bei denen man Strecken zwischen 50 Metern und elf Kilometern in einer vorgegebenen Zeit absolvieren musste - nicht langsamer, aber auch nicht schneller.« Dieses Zeitfahren, bei dem der Fahrer auf die Ansagen seines Nebenmannes reagieren muss, hatte das Team Siemes/Körfer zu Hause geübt: »Man muss aufeinander eingespielt sein, damit das klappt.«
Am zweiten Tag hatten die Oldtimer und ihre Besatzungen 400 Kilometer von Ferrara nach Rom vor sich. »Die Sonne schien, der Himmel war blau - die Fahrt war ein Traum«, erinnert sich der Herzchirurg. Die Route führte durch 21 Dörfer und Städte, und dort hätten tausende johlender Menschen an den Straßen gestanden. »Bei dem Mercedes kann man im Fußraum einen Hebel ziehen, wodurch der Auspuff umgangen wird. Der Wagen wird dann schneller, aber er lärmt, als flöge er im nächsten Moment auseinander«, lacht Körfer und erzählt, die Zuschauer hätten bei solche Showeinlagen vor Begeisterung Luftsprünge gemacht: »Die waren hin und weg!« Überhaupt seien die motorsportbegeisterten Italiener phantastisch gewesen: »In unserem Wagen war so wenig Platz, dass wir außer zwei Flaschen Mineralwasser nichts mitnehmen konnten. Aber die Zuschauer haben uns unterwegs mit Obst versorgt.« Hilfe gab es auch von der italienischen Polizei: »Die Route führt über Straßen, auf denen der normale Verkehr herrschte. Wenn vor Ampeln lange Schlangen warteten, wurden wir wie die übrigen Teilnehmer von Polizisten daran vorbeigeführt.« Nach 23 Uhr hätten sie Rom erreicht, und ihr Wagen sei der erste auf dem nächtlichen Petersplatz gewesen: »Das war ein sehr ergreifender Moment«, erzählt der Arzt.
Nach ein paar Stunden Schlaf im Hotel ging es am 21. Mai auf die letzte und mit 800 Kilometern beschwerlichste Etappe zurück nach Brescia. »Nach ein paar Stunden weißt du einfach nicht mehr, wie du dich hinsetzen sollst, weil dir der Hintern weh tut«, schmunzelt Körfer. Für den Fahrer sei es noch schwieriger gewesen: »So ein Wagen hat weder Bremskraftverstärker noch Servolenkung. Da ist die ganze Zeit über Kraft gefragt - und Aufmerksamkeit, denn das Bremspedal sitzt rechts, und das Gaspedal in der Mitte.« Doch die Fahrt durch die Toskana habe sie für alle Unannehmlichkeiten entschädigt: »Wenn du bei schönstem Wetter mit einem offenen Wagen durch diese herrliche Hügellandschaft mit ihren unterschiedlichen Grüntönen fährst, geht dir das Herz auf«, schwärmt der Chirurg. Über Gott und die Welt habe er sich in diesen Stunden mit seinem Fahrer unterhalten. »Da denkst du nicht mehr an deinen Alltag.«
Der Mercedes mit dem Team Siemes/Körfer war schließlich am Abend als 117. Auto über die Ziellinie gerollt. 30 Liter Benzin hatte der Sieben-Liter-Kompressormotor mit seinen 225 PS auf 100 Kilometern gebraucht, klaglos hatte der 76 Jahre alte Wagen die 1000 Meilen mit einem Durchschnittstempo von 65 Kilometern pro Stunde gemeistert. »Soviel Adrenalin wie in diesen drei Tagen hat mein Körper seit langem nicht mehr ausgeschüttet«, schwärmt der Herzchirurg.
Mit dem 117. Platz war das Team Siemes/Körfer das erfolgreichste aus Ostwestfalen-Lippe. Dr. August Oetker steuerte seinen 50 Jahre alten Mercedes 300 SL auf Platz 152, Schüco-Chef Dirk-Ulrich Hindrichs kam mit seinem 300 SL von 1954 auf Platz 247, und Evelyn Rückwarth (ehemals Rückwarth-Tankstellen) erreichte mit ihrem Mercedes 720 SSK von 1929 Platz 265.www.millemiglia.it

Artikel vom 30.05.2005