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Kirchentag will Ermutigung in schwierigen Zeiten vermitteln

105 000 Teilnehmer und viel politische Prominenz in Hannover

Hannover (dpa). Bundespräsident Horst Köhler hat zum Auftakt des 30. Deutschen Evangelischen Kirchentages vor »Erblasten« für die kommenden Generationen gewarnt. Mit Blick auf das Kirchentags-Motto »Wenn dein Kind dich morgen fragt... « sagte Köhler am Mittwochabend in Hannover unter Applaus: »Unsere Kinder und Enkelkinder haben ein Recht auf eigene Entfaltung. Ihre Freiheit darf nicht durch Erblasten, die wir ihnen aufbürden, ersticken.« Kirchenvertreter betonten, das fünftägige Christentreffen solle in schwierigen Zeiten ein Signal gegen »Depression« setzen.
Fragen des Glaubens und auch gesellschaftspolitische Debatten stehen im Mittelpunkt des 30. Evangelischen Kirchentages in Hannover. Am zentralen Eröffnungsgottesdienst nahmen 50 000 Menschen teil.Fotos: dpa
Wahlkampfparolen wollen die Organisatoren des Kirchentages nicht hören. Landesbischöfin Margot Käßmann (hier mit Kirchentagspräsident Eckhard Nagel): »Die Menschen lassen sich keine Worthülsen bieten.«

Am zentralen Eröffnungsgottesdienst nahmen neueren Polizeiangaben zufolge mehr als 50 000 Menschen teil. Dies sei ein Rekord in der Kirchentags-Geschichte, sagte ein Sprecher des Kirchentags. Viele Besucher schwenkten bei der stimmungsvollen Eröffnung weiße und blaue Kirchentagsschals. Augenzeugen berichteten jedoch auch von einer drangvollen Enge auf dem überfüllten Opernplatz in der Innenstadt. Die Polizei registrierte bis zum Abend aber keine besonderen Zwischenfälle.
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) forderte, »ökonomische Effizienz« mit Gerechtigkeit zu verbinden, auch global. »Kinder sind verletzbar, vor allem wenn sie spüren, dass ihnen die Lebensgrundlagen entwunden werden.« Auch ein »aktiver Umweltschutz« bleibe ein wichtiges Thema, sagte der Kanzler, der mehrfach Beifall erhielt.
Köhler betonte, der Kirchentag könne »allen« Mut machen, sich den Veränderungen in der Gesellschaft zu stellen. »Genau das brauchen wir.« Der Kirchentag könne Orientierung bieten und Zusammenhalt stiften. Viele Grundwerte aus der jüdisch-christlichen Tradition seien »in unserer Gesellschaft zu Eckpfeilern« geworden. Der Kirchentag biete ein »einzigartiges Podium für den offenen Dialog«.
Bei strahlendem Sonnenschein kamen am Mittwoch 105 000 Dauerteilnehmer mit Sonderzügen und Bussen zum Kirchentag, der am Abend mit Bläserrufen und Gottesdiensten feierlich eröffnet wurde. Aus dem Ausland sind 4000 Gäste aus fast 90 Ländern angereist.
Hannovers Landesbischöfin Margot Käßmann betonte in ihrer Eröffnungspredigt die Bedeutung der Glaubensweitergabe an die nächste Generation, um die »seelische Vertrocknung, ja die Depression in unserem Land« zu überwinden. Es sei ein Trauerspiel, dass Kinder als ökonomischer Faktor betrachtet würden.
Nach den Eröffnungsgottesdiensten lud der Kirchentag in Hannovers Innenstadt zu einem »Abend der Begegnung« mit Musik, Info-Ständen und kulinarischen Köstlichkeiten, zu dem 300 000 Menschen erwartet wurden.
An diesem Donnerstag nimmt der Kirchentag seine thematische Arbeit auf. Mit Blick auf die geplante vorgezogene Bundestagswahl im Herbst wollen die Organisatoren vermeiden, dass das Treffen zur Wahlkampfbühne wird. Käßmann sagte, die Veranstaltung solle vor allem »ein Fest des Glaubens« sein.
Allerdings wollen viele Spitzenpolitiker den Kirchentag besuchen. Mit Spannung erwartet wird ein gemeinsamer Auftritt der CDU-Chefin und voraussichtlichen Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel und SPD-Chef Franz Müntefering bei einer Podiumsdiskussion am Donnerstag zur Europapolitik. Köhler diskutiert mit dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, über das Thema »Der Protestantismus und die Gesellschaft«.
Themenhallen beschäftigen sich mit Spiritualität, Kunst, Bildung und Wissenschaft sowie mit der Globalisierung. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Ökumene. Außerdem präsentieren sich 750 Gruppen auf dem »Markt der Möglichkeiten«. Ein Open-Air-Gottesdienst bildet am Sonntag den Abschluss des Kirchentages.

Artikel vom 26.05.2005