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Anästhesist und Schmerztherapeut: Dr. Ulrich Hankemeier

Selbst der sprichwörtliche Indianer kennt Schmerz

Sommer-Workshop über »Schmerz und Bewusstsein«

Von Sabine Schulze
Schildesche (WB). Selbst der sprichwörtliche berühmte Indianer kennt Schmerz - aber er hat gelernt, Schmerzäußerungen zu unterdrücken. Das Schmerzerleben in verschiedenen Kulturen, Schmerz und Leidensfähigkeit sowie Schmerz und Akzeptanz in der Religionsgeschichte sind Themen, mit denen sich der Sommer-Workshop der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Schmerztherapie an diesem Wochenende befasst.

»Schmerz und Bewusstsein« lautet das Motto der Tagung, zu der Delegierte verschiedener medizinischer Fachgesellschaften am Samstag und Sonntag im Hotel Klosterpforte, Marienfeld zusammenkommen. Organisatoren sind Prof. Dr. Heinz Laubenthal, Bochum und Dr. Ulrich Hankemeier, Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie, Intensiv- und Schmerztherapie im Evangelischen Krankenhaus Bielefeld. Bewusst haben sie das Tagungsthema über streng medizinische Aspekte hinaus weit gefasst und kulturell-soziologische Gesichtspunkte einbezogen. Ausdrücklich sind interessierte Kollegen als Gäste eingeladen.
Etwa zehn bis 15 Millionen Bundesbürger haben chronische Schmerzen - mit steigender Tendenz. »Vor fast 30 Jahren, als ich anfing, mich mit Schmerztherapie zu befassen, schätzte man diese Zahl auf eine Million«, sagt Hankemeier. Die Alterung der Gesellschaft und die damit einhergehenden Erkrankungen wie Arthrose dürften dabei eine Rolle spielen. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen, meint Hankemeier, vielleicht eine andere...
Diskutiert wird im Rahmen des Workshops auch die Schmerzdarstellung im Gehirn. »Bildgebende Verfahren ermöglichen heute zu zeigen, wo und wie Schmerz im Gehirn ankommt und wie es darauf reagiert«, erklärt der Anästhesist. Alarmierend rot färben sich Hirnareale bei grellem Schmerz - selbst wenn ein Patient äußerlich ruhig wirkt, wie der Proband, der beim Zahnarzt Wurzelbehandlungen ohne Betäubung durchführen ließ. Er akzeptiere den Schmerz und ziehe sich in sich zurück, erklärte er den erstaunten Medizinern.
Das bewusste Abspalten und Ausschalten des Schmerzes gelingt aber nicht jedem: Andere Menschen können nach Operationen chronische Schmerzen entwickeln; deswegen wird die Vollnarkose häufig ergänzt durch eine lokale Betäubung - damit die Nerven sich den Schmerz gar nicht erst »merken« können.
Eindeutig spielen aber auch Hormone beim Phänomen Schmerz eine Rolle. »Dass ein Motorradfahrer nach einem Unfall trotz eines offenen Bruches erst noch seine Maschine an den Straßenrand schiebt und dabei keinen Schmerz verspürt ist nur so zu erklären.« Adrenalin, so Hankemeier, könnte die Ursache sein.
Endorphine hingegen sind es, die bei Ausdauersportlern das Schmerzempfinden dämpfen, sie in einen rauschähnlichen Zustand versetzen und beflügeln. »Es gibt ein Gegenmittel, das man auch kollabierten Drogenabhängigen spritzt. Wenn man dieses Medikament nun Marathonläufern nach einer Strecke von 30, 35 Kilometern injiziert, laufen sie vielleicht noch hundert Meter; dann können sie vor Schmerz nicht mehr.«

Artikel vom 26.05.2005