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Das Wort zu Fronleichnam

Von Pfarrer Dr.Dr. Jacobs


Wir stellen uns die Kirche häufig als abgehobene Hierarchie vor. Da werden Gottesdienste gefeiert, die schon immer so waren. Und die Leute, die entscheiden, sitzen angeblich alle in den obersten Etagen. Dass diese Einschätzung höchst unvollständig ist, zeigt der Fronleichnamstag.
Das heutige Glaubensfest ist in mancherlei Hinsicht beachtlich. An seiner Wiege steht eine Frau aus dem jetzigen Belgien. Ihr Name ist Juliana von Lüttich. Wir schreiben das Jahr 1209. Sie war eine religiöse Frau, sie hatte auch eine geistliche Lebensform gewählt. Aber Macht hatte sie nicht. Doch sie war eine Visionärin, heutige Zeitgenossen würden vielleicht auch gesagt haben: sie war eine Träumerin.
Ein Traum jedenfalls, der sich bei ihr ständig wiederholte, bezog sich auf die Hostie. Immer wieder sah sie vor ihrem inneren Auge das Bild einer Abendmahlsoblate, die hochgehoben und überall den Menschen gezeigt wird. Und in diesem inneren Bild sah sie sehr viel gnadenhafte Wirkung von dieser Hostie ausgehen: wer auf diesen Leib Christi in Brotgestalt blickte, erneuerte seine Verbindung mit Gott, erfuhr Hilfe, erlebte SegenÉ
Diese Frau übte auf andere Christen eine große Faszination aus. Auch ihr Bischof hörte davon. Er war sich unsicher, und fragte eigens bei höherer Stellen nach, ob man ein Fest einführen dürfe, bei dem die Hostie nach der Messe erhoben und eigens betrachtet würde. Er bekam eine begrenzte Erlaubnis.
Das war der Startschuss zu einem großen Siegeszug im christlichen Volk. Denn es gibt vermutlich kein kirchliches Fest, das so sehr vom Volk selbst vorangetrieben worden ist. Dieses Fest war ein Fest der Straße, in dieses Fest konnten die Leute ihr ganzes Herz hineinlegen. Denn endlich einmal kommt das Heilige im Alltag vorbei. Endlich einmal fällt - bildlich ausgedrückt - der Blick Gottes direkt auf mein Häuschen, direkt auf meine Werkstatt, direkt auf all die Orte, an denen ich mich das ganze Jahr über herumplage.
Wenn nämlich die Hostie - wie sich recht bald entwickelte - in einer Prozession durch die Straßen geführt wurde, dann wanderte das sorgsam in den Kirchen gehütete Sakrament der Gegenwart Gottes aus seinen kirchlichen Schutzmauern aus. Jetzt wurde der Bürgersteig zur Kirche, und zur damaligen Zeit hatte man noch alle Mühe, die Straßen überhaupt rechtzeitig vom Unrat der Tiere und Menschen frei zu räumen.
Und wie sich sofort - in katholischen Gegenden bis heute - die Menschen ins Zeug legten, um ihren Hausvorplatz in eine heilige Zone zu verwandeln, damit die Prozession würdig empfangen werden konnte! Million und Abermillionen Blüten werden in den Tagen vorher gesammelt, alles was jetzt in der Natur Farben trägt, wird zusammengetragen, um herrlichste kreative Bilder mit Blüten auf dem Boden längs des Prozessionsweges zu legen. Diese ganze Schönheit, all dieser Schmuck währt nur wenige Stunden - die aber sind es wert.
Das Fest mit der erhobenen Hostie breitete sich wie ein Lauffeuer aus. Und als es dann die gute Fügung wollte, dass ein Mann, der als kleiner Diakon in Lüttich Dienst getan hatte, in Rom Papst wurde, lernte man dieses religiöse Volksanliegen auch dort kennen. Er starb recht bald, aber er hatte den »Fronleichnamsvirus« in Rom hinterlassen. Bei einem seiner Nachfolger war es dann bald soweit: Die Vision der Juliana von Lüttich wurde 1317 für die ganze weltweite Kirche eingeführt.
Kein Fest bewegt seitdem zu seiner Vorbereitung und Gestaltung mehr Menschen aus dem christlichen Volk. An keinem Fest im Jahr ist Kirche an so vielen Orten präsent wie bei den Prozessionen dieses Tages! Die Überzeugung beseelt bis heute: »Für Gott ist mein Alltag wichtig, der Gottesdienst kommt bei mir zu Hause vorbei - und wenn nicht direkt vor meiner Tür, dann stellvertretend an anderen Orten in meiner Stadt. Gott würdigt mein Leben mit seiner Anwesenheit. Gott möge meinen Alltag segnen und die Menschen, die ich liebe!«

Artikel vom 26.05.2005