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W o?«, fragte Bandick überrascht.
»Hier irgendwo. In dem Gebiet, in dem die Hooger fischen.«
»Nein, das wüsste ich. Alle Havarien, und auch das kurzzeitige Festsitzen ist eine Havarie, werden gemeldet, und wir erhalten vom Schifffahrtsamt Bescheid. Die Kapitäne geben ihren Reedern von solchen Vorfällen Nachricht, weil das Schiff beim Auflaufen einen Schaden davongetragen haben könnte. Es muss ja auch ins Logbuch eingetragen werden. Die Versicherungsgesellschaften bezahlen nicht, wenn das Schiff schlampig geführt wurde, deshalb muss das alles sein.«
»Aber nachts könnt ihr es nicht sehen«, beharrte Hansen.
»Die Lichter«, erinnerte ihn Bandick. »Grün und Rot an Steuerbord und Backbord, ein helles Dampferlicht, wenn es sich um einen Dampfer handelt, dazu ein Ankerlicht, wenn er festgekommen ist, schon um andere zu warnen.«
»Ja, das stimmt natürlich.« Dann war die Idee wohl ein Schlag ins Wasser. Schade.
»Ich kann meine Leute befragen, ob sie etwas Auffälliges bemerkt haben«, bot Bandick bereitwillig an. »Wir wechseln uns ab. Es haben immer zwei zusammen Dienst; solange alles ruhig ist, darf einer in die Schlafkoje.«
»Ja, das wäre hilfreich«, sagte Hansen, aber seine Hoffnung war nicht besonders groß.
»Wann könnte es passiert sein?« Bandick stieg über die hohe Schwelle in das Turmzimmer. Mit kräftigem Griff stemmte er für seine Besucher die schwere Tür auf. Wirk schlüpfte unter seinem Arm durch, und Hansen fühlte sich hineingeschoben. Hinter ihnen drückte der Wind die Tür mit einem Knall ins Schloss.
»Ja, genau«, sagte Hansen, der sich plötzlich erinnerte. »Damals frischte der Wind auch auf. Das Schiff könnte bei dem Sturm vor ungefähr zwei Wochen aufgelaufen sein.«
»Umso besser. Dann waren beide Männer wach«, bemerkte Bandick und wandte sich an seinen Kollegen. »Habt ihr beim letzten Sturm irgendetwas Außergewöhnliches gesehen? Und wenn es nur Schiffslichter zu dicht an der Seesand-Bake gewesen wären. Muss ja nichts passiert sein.«
»Windstärke acht aus Südwest«, sagte der junge Leuchtturmwärter, der immer noch am Tisch saß, wie aus der Pistole geschossen. Er legte die Zeitung hin, die er gelesen hatte, und krauste die Stirn. »Das war kein schwerer Sturm, und Schiffe, die Amrum passierten, hielten sich von den Sänden frei. Allerdings war es wie alle Tage in dieser Woche: teilweise unsichtiges Wetter, höchstens zwei Seemeilen.«
»Was bedeutet das?«, fragte Hansen.
»Dass die Seesand-Bake auch bei Tage nicht zu sehen gewesen wäre«, antwortete Bandick. »Die ist vier Seemeilen von uns entfernt.«
Hansen hörte nachdenklich zu, während er sich die einzelnen Informationen durch den Kopf gehen ließ. Bislang waren sie ungeordnet und ergaben keinen logischen Ablauf. Aber irgendetwas musste draußen auf oder zwischen den Sänden geschehen sein, das mit einem Erstochenen endete, davon war er überzeugt.
»Ich glaube, wir müssen los«, sagte er mit einem Blick auf die Sonne und verabschiedete sich.
Am Fuß des Leuchtturms fiel ihm noch etwas ein. »Sollten wir nicht deine Mutter besuchen, Wirk? Ist sie hier in den Logierhäusern in Stellung?«
Aber Wirk schüttelte nur stumm den Kopf.
Rouwert Wollesen überreichte Hansen einen Brief, kaum dass er am späten Nachmittag das Wirtshaus betreten hatte. »Der kam heute. Von deiner Dienststelle. Ist bestimmt wichtig«, mutmaßte er.
Hansen zitterte ein wenig, und das nicht nur, weil er von der übergekommenen Gischt nass geworden war und fror. Mit dem auffrischenden Wind war es auch kühler geworden, das frühsommerliche Wetter erst einmal vorbei. »Da hast du vermutlich Recht«, murmelte er und öffnete mit unbehaglichem Gefühl den Umschlag. Er las den Brief schon, während er die Treppe nach oben stieg. Er war unangenehm kurz.


Sehr geehrter Bauinspektor,
stand da,

ich erwarte Sie umgehend zur Berichterstattung in Husum. Hochachtungsvoll, Baron von Holsten, Oberdeichgraf des I. Schleswigschen Deichbandes, Vorsitzender der Kommission für Schleswig-Holsteinische Wasserbauangelegenheiten.

Sönke Hansen ging in der Nacht mit sich zu Rate. Mit ErÂgebnissen im Hinblick auf den Halligschutz konnte er nicht aufwarten.
Im Gegenteil, man würde fragen, was er denn die zwei Wochen auf der Hallig getrieben hatte. Er konnte sich den sarkastischen Ton des Barons und das hinterhältige Grinsen seines Gefolges gut vorstellen. Sind Sie nicht ein VerÂfechter des Crawlens, Inspektor, das unser Erzfeind England erfunden hat? Haben Sie womöglich Ihre Fertigkeit darin in unbeobachteten Halliggewässern verbessert, um nicht als Stümper zu gelten? Haben Sie sogar während Ihrer Arbeitszeit einem privaten Vergnügen gefrönt?
Kurz nach Mitternacht kam er zum Schluss, dass nichts verkehrter wäre, als jetzt nach Husum zurückzukehren. Es würde bedeuten, dass alle Ansätze, die Halligen zu schützen, für die nächsten dreißig Jahre auf Eis gelegt wären. Zumindest, solange es eine Kommission gab, deren Mitglieder im Grunde ihres Herzens nichts für die Halligen zu tun wünschten; ihre Tätigkeit erschöpfte sich darin, Kommissionsmitglied zu sein.
Im Gegensatz zu ihm selber, der Ergebnisse wollte, und deshalb hatte er gar keine Wahl. Er musste weitermachen. Die Aufklärung des Mordes war die einzige Möglichkeit, das ÂVertrauen der Halligbewohner zu gewinnen. Ohne Vertrauen keine Deichschutzmaßnahmen. So einfach war das.
Er setzte sich hin und schrieb einen Antwortbrief.

Sehr geehrter Oberdeichgraf Baron von Holsten,
die Gespräche, die ich zu führen beauftragt wurde, stehen augenblicklich auf Messers Schneide, ich bin jedoch sehr zuversichtlich, sie zu einem guten Ende zu bringen, sofern ich sie kontinuierlich fortsetze. Jetzt zu unterbrechen, hieße aufgeben. Ich denke, in Ihrem und der Kommission Sinne zu handeln, wenn ich hier bleibe, und hoffe, hierdurch die Vorwürfe und Anklagen, die andernfalls von Berlin erhoben würden, von allen Beteiligten abzuwenden.
Mit vorzüglicher Hochachtung,
Ihr ergebener Bauinspektor
Sönke Hansen

Selbst nach mehrmaligem Überprüfen seines Schreibens fand er keinen Fehler. Danach ging er ins Bett und schlief in der festen Überzeugung, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, sofort ein.

Kapitel 12
Bei ziemlich rauhem Wetter ließ sich Sönke Hansen am nächsten Tag nach Hooge segeln, versehen mit mehreren Butterbroten und einer Feldflasche mit Tee in einem Klobb des Wirts. Für alle Fälle hatte er auch seinen Waschbeutel eingepackt.
Der Langenesser, zu dem er im Westerwehl zustieg, wo die Ketelswarfer und einige Butwehler anzulegen pflegten, ließ ihn gegenüber der Kirchwarft von Hooge abspringen und zeigte ihm die benachbarte Ockelottswarft, auf der Knud Steffensen wohnte. Nicht lange danach stand Hansen ihm gegenüber.
Steffensen war ein schmalschultriger mittelgroßer Mann mit lockigen schwarzen Haaren und braunen Augen. Hansen sah ihm zu, während er eine spitz zulaufende Reuse zum Trocknen auf der Warft ausbreitete und mit Pflöcken feststeckte.
Danach erst blickte Steffensen auffordernd hoch, und Hansen stellte sich als Bauinspektor vor. Steffensen musterte ihn misstrauisch. »Von Langeness?«
»Ja. Ich wollte mich nach dem Schiff erkundigen, das vor rund zwei Wochen auf Schiet saß«, erklärte Hansen rundheraus, damit er nicht in Verdacht geriet, auch hier wegen ungeliebter Deichbaumaßnahmen zu sondieren.
»Warum?«
»Meine zukünftige Frau ist möglicherweise ein Passagier dieses Schiffes gewesen, und da ich von ihr keine Nachricht habe É«, schwindelte Hansen und ersparte sich den Rest des Satzes in der Hoffnung, Steffensen würde es dabei belassen.
Aber der Fischer ließ sich nicht für dumm verkaufen, Hansen konnte es ihm ansehen. »Und?«, fragte er kühl.
»Hast du zufällig den Namen des Schiffes lesen können?«
»Nein.«
»Es ist mir schrecklich wichtig«, sagte Hansen und empfand angesichts dieser unfreundlichen Verweigerung leise VerÂärgerung. »War es schon dunkel?«
»Ich will mit ablaufendem Wasser raus, verstehst du, Bauinspektor?«, versetzte Steffensen ungeduldig. »Ich muss meine Familie mit meiner Hände Arbeit durchbringen, ich bin kein preußischer Beamter. Ich habe keine Zeit für alberne Fragen.«
»Das verstehe ich. Kann ich mitfahren? Wenn du unterwegs meine Fragen beantworten würdest, würde ich dir die Auskunft mit zwei Reichstalern vergüten«, bot Hansen an.
Steffensen blinzelte verblüfft.
Der Mann wirkte geschäftstüchtig. Hansen beschloss, vorzubauen und sprach in warnendem Ton weiter. »Ich kann es mir nicht leisten, mit Geld um mich zu werfen. Du brauchst auch nicht zu glauben, du würdest mich übers Ohr hauen. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 13.06.2005