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CDU-Vorsitzende Angela Merkel
ist ihrem großen Ziel ganz nah

Seit vier Jahren kämpft die 50-Jährige um die Unions-Kanzlerkandidatur

Von Ulrich Scharlack
Berlin (dpa). Angela Merkel ist ihrem Ziel entscheidend näher gerückt. Seit 2001 hat sie um die Unions-Kanzlerkandidatur gekämpft.

Auch der Verzicht, den sie im Januar 2002 CSU-Chef Edmund Stoiber bei einem inzwischen legendären Frühstück in Wolfratshausen erklärt hatte, war im Nachhinein nur der Beginn eines Neuanlaufs für den Bundestagswahlkampf 2006.
»Sind Sie zäh?«, wurde Merkel vor kurzem gefragt. »Ich würde eher sagen: ausdauernd«, antwortete die 50-Jährige. Diese Ausdauer hat sich ausgezahlt. Jetzt, nach dem fulminanten Wahlsieg in Nordrhein-Westfalen, sind auch die Restzweifel ausgeräumt, die sich um ihre Kandidatur rankten.
Merkel ist im Grunde ein vorsichtiger Mensch - mitunter skeptisch bis misstrauisch. Daran wird sich so schnell nichts ändern. Auch wenn sie jetzt auf dem Gipfel ihrer Macht steht, werden gerade die vergangenen fünf Monate sie in ihrer Vorsicht bestätigen. Vor dem überraschenden CDU-Wahlsieg in Schleswig-Holstein stand sie noch mit dem Rücken zur Wand.
Da war wieder die bekannte Haltung vieler in der Parteiführung, in der Zuschauerrolle abzuwarten, was mit der »Frau Vorsitzenden« passiert. Sie selbst fühlte, dass sie in der Patsche steckte, nachdem das gesamte zweite Halbjahr 2004 für die CDU durch den Gesundheitsstreit mit der CSU verloren war. So blieb ihr nur, der Partei vollen Einsatz zu demonstrieren. Sie warf ihren Terminplan um und erhöhte ihre Wahlkampfauftritte im Norden. »Ich will mir nichts nachsagen lassen«, erklärte sie in jenen Tagen, als sich einige schon auf den Abgesang für Merkel eingestellt hatten.
Schließlich hatte die CDU-Chefin die für einen Politiker neben Kompetenz und Durchsetzungsvermögen wichtigste Voraussetzung für Erfolg: Glück. Die Kieler SPD-Ministerpräsidentin Heide Simonis schwächelte gegen einen stärker werdenden CDU-Spitzenmann Peter Harry Carstensen, die Zahl von fünf Millionen Arbeitslosen schockte die Öffentlichkeit, die »Visa-Affäre« verunsicherte die SPD-Wähler zusätzlich. Die CDU gewann gegen alle Prognosen im Norden - die Diskussion um Merkel war beendet.
Die 50-Jährige wird demnächst wohl erste Kanzlerkandidatin in Deutschland. Erste war sie schon oft in ihrem Leben. Seit 2000 ist sie erste CDU-Vorsitzende sowie erste Frau an der Spitze der Unionsfraktion.
Die Biografie der kinderlosen Protestantin passte nie zu dem traditionellen Bild der CDU - einer männer- und westdominierten Partei mit katholischen und konservativen Wurzeln. Bei den Parteitagen 2000 in Essen, als sie während der Spendenaffäre erstmals zur Vorsitzenden gewählt wurde, und 2004 in Düsseldorf unternahm sie den Versuch, ihren Lebenslauf und die Geschichte der CDU in Einklang zu bringen. Sie suchte und fand ihren Platz in der Mitte der Partei.
Die CDU-Basis war mehr noch als die Funktionärsschicht von Anfang an dafür, das »Experiment« mit der promovierten Physikerin zu wagen. Merkel hat sich vieler Widersacher erwehren müssen. Sie hat früher nie an »Kungelrunden« teilgenommen. In oft mühsamen Prozeduren musste sie sich ihre Unterstützer und Verbündeten suchen. Darunter litt ihr inhaltliches Profil. Nachdem sie Friedrich Merz 2002 als Fraktionsvorsitzenden entmachtet hatte, ging sie in die Offensive.
Im Irak-Konflikt grenzte Merkel sich von der rot-grünen Bundesregierung zugunsten eines pro-amerikanischen Kurses ab. Innenpolitisch wollte sie sich an die Spitze der Reformkräfte stellen. Bei der Gesundheitsreform kam es zu einem erbitterten Streit mit der CSU. Auch diesen Konflikt überstand Merkel. Jetzt gibt es auch in der bayerischen Schwesterpartei keine entscheidenden Widerstände mehr gegen ihre Kandidatur, die sie nach der vorgezogenen Bundestagswahl als erste Frau ins Kanzleramt führen könnte.
Als erster CDU-Spitzenmann redete gestern Morgen Hessens Ministerpräsident Roland Koch öffentlich Klartext: »Von keinem in der Union werden Sie etwas anderes hören, als dass Angela Merkel unsere Kandidatin ist«, sagte Koch vor der CDU-Präsidiumssitzung in Berlin - eine wohldosierte Formulierung, die mehr Loyalität zur Partei als zur Person durchblicken ließ. Merkel-Skeptiker Koch, der 2002 noch ihre Kandidatur gegen Bundeskanzler Schröder verhindert hatte, setzt sich damit medial an die Spitze der seit Monaten auf die Parteichefin zulaufenden Bewegung.

Artikel vom 24.05.2005