23.05.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Intime Fragen an Arbeitslose

Bundesagentur-Konzept umstritten

Nürnberg (dpa). Langzeitarbeitslose mit besonderen Problemen müssen sich zur Wiedereingliederung ins Arbeitsleben künftig auch auf sehr persönliche Fragen bei der Arbeitsagentur einstellen.
Der Betreuer in der Agentur kann sich nach Zahl und Art der familiären und freundschaftlichen Beziehungen und dem Gesundheitszustand erkundigen. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) bestätigte die Erprobung eines entsprechenden Konzeptes in zwei regionalen Arbeitsagenturen. Es betreffe einen geringen Teil der Empfänger von Arbeitslosengeld II, vor allem Menschen mit mehrjähriger Arbeitslosigkeit und großen Schwierigkeiten wie Suchtproblemen, sagte eine Sprecherin. Die Beantwortung sei freiwillig.
Der Leitfaden für das Beratungsgespräch war von der »Bild am Sonntag« veröffentlicht und als »Intim-Verhör« bezeichnet worden. Das Bundeswirtschaftsministerium wandte sich gegen eine solche »Skandalisierung«. »Es geht darum, individuell herauszufinden, was die Gründe für die lang andauernde Arbeitslosigkeit sind«, sagte ein Sprecher. »Dies ist wichtig, um im Einzelfall die richtigen Maßnahmen und Betreuungskonzepte für die Langzeitarbeitslosen zu entwickeln.«
Den vorliegenden Informationen zufolge können die »Fallmanager« genannten Betreuer der Langzeitarbeitslosen nach »allen Daten des sozialen Geflechts« fragen. Dazu werden »Familienkonstellation, Freundschaften, Nachbarschaftskontakte, Vereinszugehörigkeit, Wohnsituation« gezählt. Es könne auch gefragt werden nach »gesundheitlichem Zustand und regelmäßigen Arztbesuchen«, wenn diese eine Vermittlung in Arbeit hemmen könnten.
Die BA-Sprecherin sagte, die Fallmanager sollten die spezielle Lebenssituation des Langzeitarbeitslosen möglichst gut kennen, um nach der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe besser auf sie eingehen zu können. Dabei solle der Fallmanager individuell entscheiden, welche Fragen aus dem Katalog er den Betroffenen vorlege. Der Sprecher des Wirtschaftsministerium sagte, dies entspreche dem Reformkonzept »Fördern und Fordern«.
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, forderte Aufklärung darüber, was später mit den »stichwortartig protokollierten« Antworten geschehen soll. Sein Sprecher Peter Büttgen sagte: »Wir sehen das kritisch. Das vorliegende Konzept muss datenschutzrechtlich nachgebessert werden.«
Die Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD), reagierte empört. »Die Befragung der Arbeitslosen in diesem Umfang ist datenschutzrechtlich kaum vertretbar.« Der Innenexperte der FDP-Bundestagsfraktion, Max Stadler, sagte: »Unglaublich! Die Arbeitsagenturen sollten sich um die Vermittlung der Arbeitslosen kümmern, statt sie zum Intim-Verhör zu bestellen.«

Artikel vom 23.05.2005