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Biochemiker entschlüsseln
eine tödliche Erbkrankheit

Exotisches Enzym im Universitätslabor erforscht

Bielefeld (WB/mzh). Biochemiker der Universität Bielefeld haben einen bahnbrechenden Erfolg zum Verständnis einer tödlichen Erbkrankheit erzielt. Das Team entschlüsselte Struktur und Funktionsweise eines exotischen Enzyms.

Sulfatasen sind Enzyme, die in menschlichen Zellen Schwefelsäure-Gruppen von Molekülen abspalten. Bei Menschen, die an Multipler Sulfatasedefizienz (MSD) leiden, arbeiten diese Enzyme nicht - Organe wachsen und arbeiten fehlerhaft, auch das Nervensystem ist betroffen. Die Diagnose MSD bedeutet bereits im Kindesalter den sicheren Tod.
Bereits vor zwei Jahren hatte Prof. Thomas Dierks - damals noch an der Uni Göttingen - ein Gen gefunden, das MSD auslöst, doch wie das von diesem Gen programmierte Enzym FGE funktioniert, blieb damals unklar. FGE, welches die einzigartige Aminosäure Formylglycin »herstellt«, ist mit »normalen« Enzymen nicht verwandt und gab den Forschern bislang viele Rätsel auf.
In Bielefeld konnte Dierks nun die Struktur von FGE sichtbar machen, was direkten Aufschluss über dessen Funktion als Auslöser der grausamen Krankheit erlaubt. Vereinfacht gesagt: Ohne FGE keine Bildung von Formylglycin, ohne Formylglycin keine Abspaltung der Schwefelsäure-Gruppen, ohne Abspaltung Tod durch MSD.
Die überraschend unregelmäßige Struktur von FGE scheint zwingend notwendig zu sein, damit das Enzym überhaupt arbeiten kann. Dierks und sein Team fanden zudem klare Hinweise auf die Existenz einer weiteren extrem ungewöhnlichen Aminosäure, diesmal im FGE, die Sauerstoff auf eine revolutionäre Art zu nutzen versteht.
Üblicherweise bedarf es geeigneter Metalle, um Sauerstoff binden und transportieren zu können - im menschlichen Blut, zum Beispiel, erfüllt Eisen diese Funktion. Die neue Aminosäure kommt ohne Metall - und ohne andere übliche Faktoren - aus, eine Erkenntnis, deren Tragweite die Experten noch gar nicht ermessen können. Diese Wissenslücken sollen nun in Bielefeld geschlossen werden. Dazu wird in bewährter Manier interdisziplinär geforscht.

Artikel vom 21.05.2005