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»Es mag mich der Blitz niederstrecken«

Deutsches Literaturarchiv in Marbach gibt Schiller-Comic bei Ehapa heraus - Zeichner: Horus

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Streicher geht die Muffe 1:1000. Der junge Musiker will Stuttgart verlassen - heimlich. Doch sein Begleiter, ein gewisser Friedrich Schiller, trödelt unnütz herum. Auftakt zu einem Schiller-Comic, der jetzt im Kölner Ehapa-Verlag erschienen ist.
WESTFALEN-BLATT-Serie

Der eine möchte bei einem Lehrer im Norden sein Klavierspiel vervollkommnen, der andere hofft, ungehindert seine Dramen schreiben zu können. Doch beim Packen am Tag der Flucht vor dem württembergischen Despoten Herzog Karl Eugen fällt dem Dichter eine Klopstock-Ode vor die Füße. Schiller liest und denkt: Das kann ich besser. Und schon hat er alles um sich herum vergessen - Andreas Streicher gerät in Panik . . .
Mit dieser Szene beginnt (nach ein paar einleitenden Traumbildern des um seine Existenz ringenden Schiller) der Comic, den das Schiller-Nationalmuseum/Deutsches Literaturarchiv (Marbach) im Ehapa-Verlag herausbringt. Die Kulturstiftung des Bundes, die sich im Schillerjahr wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert, hat das ungewöhnliche Projekt gefördert und Jugendlichen damit vielleicht einen Anstoß gegeben, mal »bei den Klassikern vorbeizuschauen«.
Der ehrwürdige Schiller als Comic-Figur? Der Bildungsbürger alten Stils legt die Stirn in Sorgenfalten - tatsächlich aber ist dem Zeichner Horus (Horus W. Odenthal) ein kleinen Kunststück gelungen: Ohne die berühmte Titelfigur ins Lächerliche zu ziehen, aber auch ohne sie unzeitgemäß auf ein Podest zu hieven, begleitet er Schiller durch die entscheidenden Wochen seines Lebens: von der Flucht aus Stuttgart am 22. September bis zum 7. Dezember 1782, als der vom Militär Gesuchte im thüringischen Meiningen, genauer: auf dem zwölf Kilometer entfernten Gut der Henriette von Wolzogen in Bauerbach, ankam.
Mit viel Liebe zum Detail setzt Horus das Geschehen ins Bild. Der architektonischen Kulisse schenkt er genauso viel Beachtung wie der Physiognomie der Personen. Hier beugt sich der sommersprossige Jungdichter, der partout Regimentsarzt werden soll, angewidert über eine Leiche, dort sinniert er im Licht einer Tranfunzel über dem passenden Hexameter. Und der eben noch joviale Landesvater Karl Eugen mutiert zum Gift und Galle spuckenden Schlossgartenzwerg. Und zwingt Schiller zum Gehorsam: »Es mag mich der Blitz herzoglichen Zorns niederstrecken . . .«
In den Sprechblasen erhebt sich Horus über den branchenüblichen restringierten Code aus Ächz!-, Grummel!- und Blubber!-Invektiven, so dass zum Hinguckvergnügen die dem Thema angemessene Lektürearbeit tritt. Mag die Erzählung auch in einem leicht pathetischen Appell an den Helden auslaufen (»Man erwartet dich. Man wartet auf dich. Steh auf, Schiller!«), so wünscht man sich besonders nach diesem Ende eine Fortführung - gar zu gerne möchte man Goethe doch ins herrische Antlitz schauen und einen Blick zuerst in die Schublade mit dem berühmten faulenden Apfel und dann auf das Manuskript des »Demetrius« werfen.
Ach, das wird wohl ein frommes Sehnen bleiben! Immerhin: Das Terrain ist abgesteckt. Also, ihr gymnasialen Deutschlehrer: Macht euren Unterricht comic-bunt! Und ihr modernen Klassizisten: Delektiert euch am Erstaunen eurer Gäste, wenn sie neben der wuchtigen Gesamtausgabe dieser netten »Novelle« gewahr werden.
Horus: Schiller! Eine Comic-Novelle; Ehapa Comic Collection, Köln 2005; 56 Seiten, zwölf Euro.

Artikel vom 25.05.2005