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Perle des Mittelalters wird
umflossen von der Moldau
Cesky Krumlov in Tschechien ist bei Touristen wieder beliebt
Auch in der sozialistischen Ära kamen Touristen in die Tschechoslowakei, labten sich an Pilsner und Budweiser, kurten in Karlsbad und Marienbad, promenierten über den Prager Wenzelsplatz und zum Hradschin.
Doch niemand kam in das kleine, verfallene Krumlov, etwa 30 Kilometer von der österreichischen Grenze. Doch seit ein paar Jahren ist diese Perle mittelalterlicher Baukunst neuer Magnet auf der touristischen Landkarte - bei Kennern, wohlgemerkt. Denn die Außenwerbung war bislang bescheiden.
Man regelte die Eigentumsverhältnisse, spuckte in die Hände und renovierte die Stadt. Cesky Krumlov, auch Krumau genannt, liegt auf zwei Bergrücken, von denen der eine immerhin 492 Meter erreicht. Warum die Stadt so heißt, wird klar, wenn man sich die Bögen der Moldau (Vltava) ansieht, in die Krumau buchstäblich hineingebaut ist: Eine fast omegaförmige Schleife beherbergt das Stadtzentrum, während sich innerhalb der anschließenden Flussschleife das Rote Tor, Brauhaus, Minoritenkloster und das Klarissinnen-Kloster befinden. Schon von weitem bietet das 14 000-Einwohner-Städtchen einen idyllischen Anblick.
Erstmals erwähnt wird die Stadt in einer Urkunde aus dem Jahre 1253, in der Krumlov als Chrumbenowe bezeichnet wird. Die älteste Besiedlung fällt in die ältere Steinzeit. Die keltische Besiedlung ist in der jüngeren Eisenzeit belegt, und die slawische Besiedlung datiert seit dem 6. Jahrhundert.
Das Geschlecht der Witigonen, die Krumau einst beherrschten, stammt der Legende nach sogar aus dem antiken Rom. Demnach waren die Witigonen mit dem römischen Geschlecht Ursini verwandt, das auf dem Berg »Mons Rosarum« gesiedelt haben soll. Nachdem im Jahr 546 Rom durch die Horden des westgotischen Führers Totila geplündert worden war, verließ das Geschlecht Rom, und eines seiner Mitglieder Namens Witigo begab sich mit Frau und Kind in nördliche Richtung über die Donau, und schließlich ließen sie sich in Südböhmen nieder. Dort gewann er ausgedehnte Besitzungen, die er unter seine fünf Söhne aufteilte. Jeder Sohn bekam ins Wappen die fünfblättrige Rose. Noch heute ist das »Hotel Rose« das erste Haus am Platz - ein monumentales, schlossähnliches Gebäude.
Die Wirklichkeit weicht jedoch von der Legende ab. Witigo kam nicht im 6., sondern im 12. Jahrhundert nach Südböhmen, und zwar nicht aus dem italienischen Geschlecht Ursini, sondern aus dem Gefolge des böhmischen Fürsten. 1173 wird Witigo als Gesandter zu Kaiser Friedrich Barbarossa erwähnt.
Die Stadt entstand in zwei Bauetappen. Ihr erster Teil entstand spontan unterhalb der Krumauer Burg. Er hieß Latrán. Einer weiteren Legende zufolge entstanden Burg und Stadt an der Stelle, wo die Witigonen eine Räuberbande besiegt hatten.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts zählte die Stadt 5000 Einwohner. Es wurde eine Infanterietruppe untergebracht, es gab zwei allgemeinbildende Schulen, eine Musik und eine Waisenschule. Zwei Bierbrauereien (fürstliche und städtische), zwei Papierwerke, drei Mühlen, eine Leinenspinnerei sowie eine Tuchfabrik waren in Betrieb.
Bereits im 19. Jahrhundert wurden zeitweise Reibereien zwischen der tschechischen und der deutschen Bevölkerung verzeichnet. Nachdem 1918 die Tschechoslowakische Republik ausgerufen worden war, reagierte die deutsche Bevölkerung mit der Erklärung des selbstständigen Böhmerwaldgaues, der ein Bestandteil des neuen österreichischen Staates sein sollte. Diese Bewegung wurde militärisch unterdrückt und Krumlov 1918 von der tschechischen Wehrmacht besetzt.
Während des Zweiten Weltkrieges verliefen in Krumlov keine bedeutenden Kämpfe, 1945 wurde es durch das amerikanische Heer befreit. Danach kam es zur Vertreibung der deutschen Bevölkerung - ein Kapitel, welches die deutsch-tschechischen Beziehungen noch immer trübt. Die Stadtführer sprechen das heute offen an und lassen auch durchaus Bedauern durchklingen.
Dann überwiegt aber doch die Freude darüber, dass mit dem Ende des Sozialismus eine neue Blüte für die Stadt anhob. In den zahlreichen Restaurants der Stadt wird preiswert gute böhmische Küche serviert, fließt Bier aus Pilsen und Budweis. Immer wieder kommen auch Filmteams, die Cesky Krumlov als mittelalterliche Kulisse nutzen. Immerhin gehört die Stadt mittlerweile zum Weltkulturerbe. Thomas Albertsen

Artikel vom 04.06.2005