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Die Meister packender Alltagsdramen geehrt


Brüder Dardenne erhalten Goldene Palme von Cannes

Cannes (dpa). Die Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne aus Belgien sind für ihr realistisches Sozialdrama »L'enfant« (Das Kind) mit der Goldenen Palme der Internationalen Filmfestspiele von Cannes ausgezeichnet worden.

Es ist die zweite Palme der Filmemacher nach dem Preis für »Rosetta« im Jahr 1999. Der wichtige Grand Prix der Jury ging an den amerikanischen Filmemacher Jim Jarmusch für »Broken Flowers«. Keine Auszeichnung gab es für den deutschen Regisseur Wim Wenders, der mit »Don't Come Knocking« in den Wettbewerb gegangen war. Für sein beunruhigendes Psychodrama »Caché« (Versteckt) nahm der Österreicher Michael Haneke (63) den Regiepreis entgegen. Der Film ist als französische Produktion entstanden. »Formidabel«, freute sich der in Paris lebende Haneke danach. »Natürlich beginnt man die Arbeit immer mit dem Wunsch nach größtmöglicher Aufmerksamkeit.« Der Preis der Jury ging an die in den 80er Jahren angesiedelte Familiengeschichte »Shanghai Dreams« von Wang Xiaoshuai aus China.
Überraschungen gab es bei den Darstellerpreisen: Eigentlich wollte der US-Star Tommy Lee Jones (»Men In Black«) in Cannes vor allem als Regisseur wahrgenommen werden, hatte er doch bei dem zeitgenössischen Western »The Three Burials of Meliquiades Estrada« zum ersten Mal auch hinter der Kamera gestanden. Doch nicht für die Regie, sondern für sein Schauspiel wurde er gefeiert. Die »Drei Begräbnisse« bekamen auch den Drehbuchpreis (Guillermo Arriaga). Als beste Schauspielerin wurde die Israelin Hanna Laslo für ihren komödiantischen Auftritt in »Free Zone« ausgezeichnet.
»L'enfant«, der Siegerfilm von Cannes, erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der Vater wird, aber selbst zu unreif und verantwortungslos ist, um diese Rolle auch nur annähernd auszufüllen. Mit dem »Kind« des Filmtitels ist nicht nur das Baby gemeint, sondern auch der 20 Jahre alte Bruno (Jeremie Renier). Der lebt von der Hand in den Mund, versucht seinen Sohn zu verkaufen und begreift kaum, warum die Mutter des Kindes völlig entsetzt darauf reagiert. Die Brüder Dardenne, 54 und 51 Jahre alt, zeigen sich hier wieder als Meister extrem wirklichkeitsnaher, packender Alltagsdramen aus dem Leben am Rande der Gesellschaft.
»Die Entscheidung war von ästhetischen Kriterien geprägt und auch ein bisschen politisch motiviert«, sagte Jurypräsident Emir Kusturica. Der Hamburger Regisseur Fatih Akin, der das Festival auch als Jury-Mitglied erlebte, meinte: »Ich habe einen Regenbogen im Herzen. Ich freue mich für die, die gewinnen. Aber manche, die leer ausgegangen sind, tun mir auch Leid.«

Artikel vom 23.05.2005