21.05.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Folkloristisches liegt ganz vorn

In Kiew geht der 50. Eurovision Song Contest lebhaft über die Bühne

Von Friedemann Kohler
ARD, Samstag, 20.15, 21.00 Uhr: Ohne Pauken auf der Bühne ist beim Eurovision Song Contest 2005 nichts zu holen, und am besten bläst auch noch ein Dudelsack. Im Finale des 50. Musikwettbewerbs in Kiew werden erneut Songs mit einem kräftigen folkloristischen Einschlag gute Chancen haben.

Das zeigte das Halbfinale am Donnerstag, in dem sich zehn Länder vor jubelndem Publikum im ausverkauften Sportpalast noch einen Platz unter den 24 Startern erkämpften. Erstmals sah die europäische Fernsehfamilie die spektakuläre Bühne, deren Beleuchtung schier unerschöpfliche Möglichkeiten bietet. Auf dem gläsernen Boden schweben die Künstler wie auf Wasser. Der Kiewer DJ Pasha führte locker durch die straff durchorganisierte Show, während seine Partnerin Maria Jefrosinina oft in Euphorie die Stimme überschlagen ließ.
Die musikalischen Trends sind klar. Die Telefonabstimmung im Halbfinale ließ Disco-Musik leer ausgehen - Auf Wiedersehen Euro-Pop aus Portugal, Island und Weißrussland! Es war auch nicht die Nacht der Popdiven in großen Roben und Posen. Als Ausnahme kam die Israelin Shiri Maimon weiter, die einen Tick blonder und süßer als die Konkurrentinnen war und die schöne Engtanznummer »The Silence That Remains« sang.
Auch Solosänger konnten sich nicht in die Herzen schmachten, nur der dänische Lehrer Jacob Sveistrup zog ins Finale ein. Das Scheitern einzelner Sängerinnen und Sänger verspricht in der Endrunde wenig Gutes für Großbritannien, Russland, Malta, Frankreich und Zypern.
Besser als Disco kamen im Halbfinale rockige Songs an wie »Cool Vibes« von Vanilla Ninja. Die estnische Girlband singt für die Schweiz und ist die hausgemachte Konkurrenz für den ähnlich gestrickten deutschen Beitrag »Run & Hide« von Gracia. Beide werden von dem wegen Chartmanipulationen umstrittenen Produzenten David Brandes betreut.
Als Rocker sind allerdings Wig Wam aus Norwegen kaum zu schlagen, die ironisch dem 25 Jahre alten Glamrock von Gary Glitter, Sweet und Slade huldigen. Der Sänger Glam dirigierte bei der Pressekonferenz die Journalisten zu »We Will Rock You« und verkündete: »Wir mögen Sex und Rock'n'Roll!« Nur mit Drogen, dem dritten Bekenntnis echter Rocker, habe er nichts am Hut.
Die folkloristische Fraktion, zu der auch Kroatien und Mazedonien zählen, bringt in Kiew Kesselpauken und Dudelsäcke auf die Bühne. Bei der irrwitzig schnellen Nummer »Boonika bate doba« (Großmutter haut auf die Pauke) der Publikumslieblinge Zdob si Zdub aus Moldawien gibt eine leibhaftige Oma den Takt vor. Zur Begleitung der stimmgewaltigen Luminita Anghel aus Rumänien trommeln die Percussionisten auf Ölfässern und lassen die Funken sprühen. Jetzt hat das TV-Publikum das Wort. »Ich bin eigentlich für alle«, sagt die Vorjahressiegerin Ruslana aus der Ukraine.

Artikel vom 21.05.2005