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Leitartikel
Nordrhein-Westfalen-Wahl

Ein kühler Mai - ein
neuer Herbst


Von Rolf Dressler
Er ist ganz nah, jetzt ist er da: der Tag der Entscheidung im Lande Nordrhein-Westfalen.
Aber wohl nur besonders Gestählte von sonnigem Gemüt dürften da oder dort Bürgersleute zu Gesicht bekommen, die mit einem richtig fröhlichen Liedchen auf den Lippen zur Kreuzchen-Tat im Wahllokal schreiten.
Dazu schlagen die Zumutungen der krausen Berg-und-Tal-Politik den Menschen nun doch schon zu lange auf den Magen. Und irgendwann reißt selbst den langmütigsten Wohlmeinenden der Geduldsfaden. Das ist eben das Gesetz der Serie, wenn nur noch löcherstopfend gewurstelt wird, um zu verkleistern, dass unsere Volksvertreter immer weniger wissen und vor allem nicht begreiflich machen können, wohin die Kreuz- und Querfahrt auf dem Riesendampfer Deutschland eigentlich ganz konkret führen soll.
Dabei ist der Verdruss über das inflationäre Parlamentsdebatten- ersatzgeschwafel in den sogenannten Talkshows noch vergleichsweise minder belangvoll. Denn: Zwar müsste auch dem Letzten vor der Fernsehkamera und vor der Mattscheibe bewusst sein, dass wir hier unten »die da oben« nicht vorrangig für derlei seichte Selbstdarstellungseitel- keitsserienveranstaltungen wählen. Wenn die Herrschenden und die auch sehr Wichtigen aber mei- nen, sie könnten sich dem (insgeheim heftig ersehnten) Ruf in die TV-Talk-Studios keinesfalls entziehen, dann erübrigen sich kritische Nachfragen ohnehin von vornherein.
Die Talkshow-Inszenierungen und selbst das Gladiatoren-Duell-Getrommel erscheinen vielen vom Informationswert her zu Recht als eher weniger wichtig. Weit stärker brennen dem Wählervolk die ungebrochene Massenarbeitslosigkeit, die gesamtwirtschaftliche Schwäche die gigantische Staatsverschuldung und, daraus resultierend, die ungewisse Zukunft der Renten- und Sozialsysteme auf den Nägeln.
Ganz gewiss werden jedenfalls nicht die Meinungsbefrager die NRW-Wahl an diesem 22. Mai 2005 entscheiden. Einige Institute haben sich sogar auffällig zurückgehalten - offenbar wohlweislich in Erinnerung an voraufgegangene, teils nur noch peinliche Fehlvorhersagen.
Und was übrigens sämtliche denkbaren Varianten des Wahlausgangs anbetrifft: Wie nie zuvor entpuppt sich der Wähler als unberechenbar wechselwarmes Wesen. Immer öfter trifft er seine Kreuzchen-Entscheidung aus dem (Zauber-)Hut oder aus dem Bauch heraus.
Deshalb: Ob Rot-Grün in Düsseldorf am Ruder bleibt oder Schwarz-Gelb den Regierungsauftrag bekommt, eine Vorentscheidung für einen Machtwechsel in Berlin im Herbst 2006 wird damit mitnichten getroffen. Für Tagträumer dieser oder jener Parteifarben könnte es dann nämlich ein wiederum unliebsames Erwachen geben.
Indes, kann in Düsseldorf in nächster Zeit überhaupt - endlich wieder - zielstrebig und zügig re- giert und gute Politik für die Menschen gestaltet werden? Oder wird, was zu befürchten ist, dort etwa schon am 23. Mai 2005 der Bundestagswahlkampf 2006 eingeläutet?

Artikel vom 21.05.2005