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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Dr. Dr. Markus Jacobs


An einem Nachmittag vor wenigen Tagen bemerkte ich zwei Kinder, die einen Weg hinter dem Pfarrheim mit Inline-Scatern herunterkamen, wo dies eigentlich zu gefährlich ist. Ich ging zu ihnen. Es waren ein Mädchen und ein Junge, beide mindestens acht Jahre alt. Es begann ein Kurzgespräch, das Vieles klar machen kann:
Mit den Inlinern waren sie an dieser Stelle, weil sie unbedingt im Laufe dieses Nachmittags mehrfach etwas nachschauen wollten. Das Mädchen sagte: „Wir wollten wissen, ob es Gott gibt und ob er hier wirklich wohnt. Deshalb haben wir dort auf der Mauer bei dem Kreuz zwei Kaugummis hingelegt. Jetzt ist ein Kaugummi davon weg. Gott hat es wohl genommen.“
Ich musste mir ein Lächeln verkneifen und habe geantwortet: „Gott wohnt überall; hier an dem Kreuz beten viele Menschen zu ihm. Bestimmt kann man ihn hier besonders gut spüren. Aber Gott isst kein Kaugummi, Gott braucht überhaupt nicht zu essen.“
Daraufhin schlug sich der Junge mit der flachen Hand vor die Stirn und sagte mit größtem Ernst: „Ach, stimmt ja, Gott ist ja ein Geist“. Darauf hin das Mädchen mit halb nachdenklichem halb enttäuschtem Gesicht: „Das ist aber blöd, jetzt ist mein Kaugummi umsonst weg. Ich hatte nur noch zwei Kaugummis, die hätte ich dann selber essen können.“
Diese kurze Begegnung lässt schmunzeln und lehrt doch ganz Wesentliches:
Wenn ich erst das Traurige betrachte, dann spüre ich, wie leid mir solche Kinder tun, die mit einer wesentlichen Fragen, wie der Frage nach Gott offensichtlich völlig allein gelassen werden. Es waren ja normale Schulkinder, sie hatten das gleiche Alter, in dem sich andere bereits auf die Erstkommunion vorbereiten und bereits sehr viele und differenzierte Erfahrungen mit Gott und dem Glauben machen durften. Ich weiß aus unzähligen Gesprächen mit solchen Kindern, wie aufnahmefähig sie eigentlich wären, wie religiös sensibel sie sein können.
Nüchtern muss auch jeder herauslesen, wie sehr Deutschland Missionsland geworden ist. Göttliche Wesen, die an irgendwelchen Stellen wohnen und essen, sind ganz typische Vorstellungen von Naturreligionen.
Auf der anderen Seite ist eine solche Begegnung aber auch ein absolut ermutigendes Zeichen, dass selbst religiös vernachlässigte Kinder sich auf ihren eigenen Weg zu Gott machen. Sie suchen sehr wohl! Und auf ihre Weise kommen sie auch zu Ergebnissen - wenn auch vielleicht über Versuch und Irrtum wie bei dem Kaugummi. Und dass Gott eher mit dem Begriff „Geist“ zu fassen ist, hat sich den beiden sicherlich ebenfalls eingegraben.
Schließlich wurde mir bewusst, wie kostbar und unverzichtbar unsere Kirchen, unsere Zeichen des Glaubens, unsere heiligen Orte gerade für religiös ungelernte Menschen unserer heutigen Tage sind. Denn die Kinder hatten eben doch gehofft, an diesem Ort hinter der Kirche etwas mehr von Gott zu entdecken, als sie bisher kannten. In die eigentlich offene Kirche zu gehen, hatten sie sich offensichtlich nicht einmal getraut. Unsere Kirchen sind für manche Zeitgenossen wie kleine Oasen, kleine exterritoriale Zonen unserer dahintreibenden Gesellschaft.
Ein Letztes: dieses kleine missionarische Gespräch - wir haben noch etwas länger weiter gesprochen - hätte fast jeder Christ führen können, selbst Gleichaltrige. Es ist eine Ermutigung, die Herausforderung zur Mission in meiner nächsten Nähe anzunehmen. Für diese kleinen Dialoge hätte niemand ein Theologiestudium benötigt. Sprechen wir ruhig und offen von dem, was wir von Gott verstanden haben. Es wird vermutlich sehr häufig Zeitgenossen in der Nähe geben, für die dies alles völlig neu ist. Nur Mut!

Artikel vom 21.05.2005