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Inspiriert von den Gemälden Edward Hoppers

Wim Wenders Wettbewerbsfilm »Don't Come Knocking« gestern in Cannes vorgestellt


Von Karin Zintz
Cannes (dpa). »Bloß nicht stören« oder »Klopf niemals bei mir an«, so könnte der Titel von Wim Wenders' neuem Film beim Festival übersetzt werden. »Don't Come Knocking!« warnt ein schäbiges Pappschild im Wohnwagen des alternden Westernhelden Howard Spence. Doch Spence ist weg: In rasendem Galopp flieht er vom Schauplatz einer Billigproduktion und sucht einen Ausweg aus dem kaputten Leben, das er Jahrzehnte lang verantwortungs- und bindungslos geführt hat.
Die Sehnsucht nach Zugehörigkeit, nach familiärem Halt - und gleichzeitig die Angst davor: Für Wenders ist das »eines der wichtigsten Themen, das die Menschen auf der ganzen Welt beschäftigt«. Für den selbst kinderlosen Regisseur ist es »Tatsache, dass man Familie und Liebe vermisst, weil man immer davor weggelaufen ist«. Wie einer dieser ewigen Wegläufer versucht, seine Familie und Kinder wiederzufinden, erzählt Wenders (59) in tragikomischem Ton und wundervollen Bildern.
Shepard selbst spielt den Cowboy in der Lebenskrise. Irgendwann hat er die Nase voll von Kokain, Affären, Alkohol und Einsamkeit. Er findet den Weg zu seiner Mutter (Eva Marie Saint), die der plötzlichen Rückkehr des verlorenen Sohnes ziemlich cool begegnet. Schnell findet Spence die vergangene Liebe Doreen (gespielt von Shepards Ehefrau Jessica Lange) wieder. Wiederbeleben lässt sich die alte Leidenschaft nicht. Und sein fast 30 Jahre alter Sohn reagiert mit maßloser Wut auf den Mann, der ihm sein ganzes Leben lang gefehlt hat. Doch Spence ist ein harter Kerl und gibt so schnell nicht auf.
Visuell ist »Don't Come Knocking« wie geschaffen für ganz große Leinwände. Gesichter in Nahaufnahmen, Felsen in der Dämmerung, Landschaften und Städte wirken in ihren satten Farben wie gemalt, inspiriert von den Gemälden Edward Hoppers. Viele Lieblingsmotive von Wenders wie strahlend bunte Leuchtreklamen oder der Namenszug auf einem Hoteldach wiederholen sich hier. Doch der deutsche Kameramann Franz Lustig hat auch das Bekannte in einem aufregenden, eleganten Stil gedreht.
»Ich bin sehr, sehr stolz auf diesen Film«, betonte Wenders in Cannes. »Das ist wahrscheinlich einer der besten Filme meines Lebens.« Bleibt abzuwarten, ob es 21 Jahre nach »Paris, Texas« morgen Abend für eine zweite Goldene Palme reicht.

Artikel vom 20.05.2005