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Ostwestfalen-Lippe ist einer der Gewinner

Bilanz: ein Jahr nach der Erweiterung der Europäischen Union auf 25 Mitgliedsländer

Von Elmar Brok
Die Osterweiterung der Europäischen Union ist eines der Themen, bei denen die Fakten und die öffentliche Wahrnehmung auseinander fallen. Angst und damit Ablehnung gehen um. Dabei stehen Deutschland und Ostwestfalen-Lippe als Gewinner bereits fest.

Mit der Osterweiterung liegen wir hier in der Mitte eines Binnenmarktes mit 450 Millionen Verbrauchern und einer Zone der Stabilität mit einer gemeinsamen Rechtsordnung und ohne Außengrenzen, die jemals noch Kriegs- oder Konfliktgründe sein könnten. Dies ist die Erfüllung des Traums von Konrad Adenauer, der auf diese Weise auf Dauer Frieden und Freiheit sichern wollte.
Die EU der 25, mit einem Bruttoinlandsprodukt von fast 10 000 Milliarden Euro und als weit größte Handelsmacht der Welt, kann unser Interesse weltweit wahrnehmen. Man kann sich leicht ausrechnen, was dies für unsere Verhandlungsposition zum Beispiel in der WTO bedeutet. Auch der Druck, weltweit unsere Normen zu übernehmen, ist hoch. An der EU kommt keiner vorbei.
Die neuen Mitgliedsländer stellen einen schnell wachsenden Markt mit einem mehr als doppelt so hohen Wachstum als in der »EU-15« dar. Das Handelsbilanzvolumen der »EU-15« mit den Neuen ist inzwischen höher als das mit den USA. Fast 50 Prozent dieses Handels, der im vergangenen Jahr um zehn Prozent, seit 1995 um 140 Prozent gestiegen ist, wird von Deutschland abgewickelt.
Deutschlands wirtschaftliche Lage wäre angesichts der Schwäche der Binnenmarktnachfrage ohne den erweiterten EU-Markt, der sichere Rahmenbedingungen mit sich bringt und auf dem heute 70 Prozent unseres »Außenhandels« mit einem Überschuss von mehr als 100 Milliarden Euro pro Jahr gehen abgewickelt werden, noch schlechter als jetzt, die Arbeitslosigkeit weit höher. Dies gilt auch für Ostwestfalen-Lippe, dessen Anteil des Außenhandels an der Wertschöpfung in den vergangenen zehn Jahren von 19 auf fast 30 Prozent gestiegen ist.
Die Preise und Löhne in den neuen Mitgliedsstaaten gleichen sich unseren an (Anstieg der Verbraucherpreise 3,4 Prozent, vergleiche »EU-15« 1,9 Prozent). Die zehn Staaten erfüllen immer mehr unserer Umwelt-, Arbeitsschutz- und Sozialbedingungen und müssen somit potentielle Kostenvorteile immer mehr unter gleichen Bedingungen erwirtschaften. Dagegen haben unsere Unternehmen durch die Erweiterung neue und weitgehend ungesättigte Märkte gewonnen, die sich, abgesehen von anfänglichen Umsetzungsproblemen, gut erschließen lassen. Sie bieten Rechtssicherheit und kompatible Normen. So ist allen Unkenrufen zum Trotz das zu erwarten und bereits erkennbar, was sich auch schon bei der Erweiterung um Spanien und Portugal ereignet hat: Den großen Befürchtungen folgen letztlich Erfolgsmeldungen auf allen Seiten. Auch in Deutschland hat laut einer Studie von Ernst & Young bereits jetzt schon die Osterweiterung für jedes fünfte Unternehmen eine Umsatzsteigerung gebracht.
Dieser Vorteil gilt nicht für jeden Wirtschaftssektor, weil ein solcher Binnenmarkt auch strukturelle Veränderungen mit sich bringt. Die Angleichung der Kosten führt aber dazu, dass die neuen Länder nicht mehr als Ziel für Verlagerungen in Billiglohnländer geeignet sein werden.
Investitionsgüterunternehmen wie etwa im Maschinenbau profitieren von dem neuen Markt, der über die EU-Hilfe an Kaufkraft gewinnen und eine moderne Struktur erhalten wird, in besonderem Umfange. Aber auch Verbrauchsgüter hoher Qualität setzen sich durch.
Viele Unternehmen in OWL wissen dies. 74 Prozent aller deutschen Unternehmen, die in den neuen Mitgliedsländern tätig sind, sprechen von Vorteilen. Die Hälfte aller Unternehmen hat oder plant dorthin Geschäftsbeziehungen. Als Hauptvorteile werden genannt: der Wegfall von Zöllen und Investitionshemmnissen, die Senkung von Transaktionskosten, höhere Rechtssicherheit und die Vereinheitlichung von Standards.
Die EU hat bei den Beitrittsverhandlungen eine Reihe von Übergangsregelungen einschließlich für den Arbeitsmarkt verhandelt, um plötzliche Brüche zu vermeiden. Das hat bisher auch funktioniert. Allerdings hat Deutschland die bilateralen Verhandlungsmöglichkeiten im Dienstleistungsbereich noch nicht so gut ausgenutzt wie zum Beispiel Österreich. Auch haben einige EU-Länder harte Kontrollen gegen Schwarzarbeit und illegale Aufenthalte, Deutschland nicht. Einige EU-Länder haben greifende Mindestlöhne, Deutschland außer in der Baubranche nicht.
Große Ängste gab es vor dem Beitritt von Spanien und Portugal. Heute erkennt dies jeder als großen Erfolg an. Diese wird auch bei der Osterweiterung, die Ostwestfalen-Lippe ins Zentrum rückt, so sein. Für die Rahmenbedingungen von Infrastruktur, Wissenschaft und Innovation, Steuern und ein unbürokratisches Umfeld sind wir selbst verantwortlich. Auch muss die EU sich nun Zeit für eine innere und äußere Konsolidierung nehmen - weniger Gesetzgebung und mehr Umsetzung sowie äußere Begrenzung.

Artikel vom 26.05.2005