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Die Bösartigkeit eines
Tumors vorab abschätzen

Forschung der Biologen mit der Frauenklinik in Mitte

Bielefeld (sas). Prof. Dr. Joachim Volz treibt ein zentrales Problem der Onkologie um: »Fast alle Frauen werden nach einer Brustoperation vorsorglich mit Chemo- und Strahlentherapie behandelt.« Das sei der empfohlene Standard, an dem fast keine Frau vorbekomme. »In 89 von 100 Fällen bringt die Chemotherapie aber nichts«, sagt der Chefarzt des Zentrums für Frauenheilkunde an den Städtischen Kliniken Mitte. Und das möchte er zu gerne ändern.

»Nur bei elf Prozent der Brustkrebspatientinnen ist eine Chemotherapie sinnvoll. Die anderen sterben trotz dieser Behandlung oder würden auch ohne Chemo überleben.« Angesichts der Nebenwirkungen und Kosten, die diese Behandlung mit sich bringt, reicht das Volz nicht. »Ziel muss sein, vorherzusagen, ob ein Tumor auf diese Therapie ansprechen wird.«
Hilfe bei diesem Vorhaben erhofft sich Volz von Privatdozentin Dr. Anke Becker, Genetikerin an der Universität Bielefeld. Sie hat eine Methodik entwickelt, um die Wahrscheinlichkeit, dass ein Tumor reagiert, zu berechnen.
»Ein Ansatz ist, noch vor einer Operation eine Chemotherapie durchzuführen: Dann kann man womöglich erkennen, ob sie auf den Krebs wirkt«, sagt Volz. Auch nach jedem weiteren Behandlungszyklus kann kontrolliert werden, wie der Effekt ist und ob es der Frau gut geht. »Auch so ist die Rate der falschen Chemo- und Hormontherapien zu senken.«
Der Gynäkologe möchte aber mehr wissen - zum Beispiel, wie groß das Risiko ist, dass ein Tumor Metastasen bildet. Denn längst ist Krebs nicht gleich Krebs. »Es gibt fünf oder sechs wichtige Merkmale. Unser Ziel ist es aber, einen Krebs besser zu charakterisieren. Die entscheidende Frage ist: Kann er streuen?«
Hier kommt Anke Becker ins Spiel: »Ich erstelle eine Art Aktivitätenprofil.« Die Biologin führt dazu keinen Gentest durch, sondern untersucht die Aktivität der Gene anhand von Gewebeproben, die Volz ihr schickt. »Es wird ohnehin vor jeder Operation eine Stanze entnommen«, betont sie. Eine Probe geht in die Pathologie, das andere Zellmaterial wird sofort schockgefroren, in einem Stickstoffbehälter gesammelt und zur Universität gebracht. »Ich isoliere dann die RNA, das ist quasi die Abschrift des Genoms.« Dabei interessiert sie sich nicht für das komplette Genom, sondern hat 120 Gene im Visier. »Je mehr Abschriften es davon gibt, je häufiger also die Information abgelesen wird, desto mehr Aktivität gibt es.« Und das bedeutet ein höheres Risiko von Tochtergeschwulsten.
200 Stanzen hat Becker bisher untersucht, Proben, die vor und nach Operationen und nach erfolgter Chemotherapie entnommen wurden. Volz will nun noch Kollegen ins Boot holen, will mit vier weiteren Kliniken, die wie die Städtischen Kliniken als Brustzentren anerkannt sind, kooperieren. »Gemeinsam würden wir jährlich 1000 Patientinnen repräsentieren.« Das erlaube dann schon Aussagen.
Am Ende dieser klinischen Forschung sollte nach der Erwartung von Volz stehen, dass eine Analyse der Stanzen zu einer zuverlässigen Vorhersagbarkeit führt. »Man wird sagen können, ob das Risiko von Metastasen bei 0,5, bei 20 oder 40 Prozent liegt.« 24 Stunden nach Entnahme der Gewebeproben, schätzt Becker, könnte dieses Ergebnis vorliegen - mit Folgen für die anschließende Therapie.
Bei Tumoren mit extrem geringem Risiko, meint Volz, würde dann die Operation genügen. »Man könnte den Frauen die Chemotherapie ersparen. Denn immerhin ist das eine toxische Therapie. Und allen Frauen, denen wir sie umsonst geben, tun wir nichts Gutes. Aber derzeit wissen wir es eben noch nicht genauer.«
Wichtig ist ihm und Anke Becker auch, eigene Studien durchzuführen und sich nicht auf internationale Forschungen zu stützen. Denn die genetische Ausstattung der Menschen variiert: »Die Standard-Therapie bei einem Tumor der Eierstöcke ist heute als Standard etabliert, weil sie bei der Gruppe nichtrauchender Japanerinnen mit einem bestimmten genetischen Defekt sehr wirksam war. Aber eben primär bei ihnen«, erklärt Volz an einem Beispiel. Vielleicht, überlegt er, gebe es mehr solcher Untergruppen. »Therapiekonzepte müssen deshalb viel individueller sein«, meint Becker.

Artikel vom 20.05.2005