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Älterer Herr mit Stimme

Begeisternder Auftritt von Joe Cocker in Bielefeld

Von Wolfgang Schäffer
Bielefeld (WB). Leute, vergesst das Radio, den CD-Spieler oder auch die DVD. Joe Cocker live - das ist es, da ist jede Sekunde ein Erlebnis.

Kleinkariertes Sakko, dunkle Hose, dunkles Hemd, schütteres Haar, kleines Bäuchlein - der gepflegte ältere Herr (morgen wird er 61) wirkt zunächst fast ein wenig schüchtern dort vor dem Mikrofon in der Bielefelder Seidenstickerhalle. Doch es dauert nur wenige Augenblicke, dann hat sich dieser Eindruck erledigt. Dröhnt der erste Cocker-Ton durch die Lautsprecher, dann bekommen nicht nur die eingefleischten Fans des Sängers eine Gänsehaut. Die unverwechselbare Stimme drückt noch immer eine unbändige Energie aus.
Noch immer? Es scheint so, als würde Cocker mit zunehmendem Alter sogar noch besser. Und just das ist nur live zu erleben. Jeder Ton, jede Geste kommt mit den Ecken und Kanten rüber, die die harten Lebenserfahrungen Cockers widerspiegeln. Hier ist nichts weichgespült, kein Studiotechniker hat hier Hand angelegt. Alles ist echt, authentisch. Der ehrliche Arbeiter - das Sakko fällt nach dem ersten Stück, die Hemdsärmel werden nach und nach bis über die Ellenbogen aufgekrempelt - steht im Mittelpunkt.
Und mit ihm seine Stimme. Das wird auch am nicht vorhandenen Bühnenbild deutlich. Lediglich ab und an flimmern ein paar illustrierende Bilder über eine große Leinwand. Viele davon zeigen auch den jungen Cocker. Den, der exzessiv Drogen und Alkohol verfallen war. Vergangenheit. Mit Hilfe seiner Frau hat er sich davon gelöst. Auf die harte Tour.
Auch das trägt sicher mit zunehmendem Alter dazu bei, dass wir jetzt diesen Joe Cocker erleben dürfen. Viele seiner altbekannten Songs kommen mit neuer Ausdrucksstärke aus den Lautsprechern.
Dabei ist kaum zu glauben, dass seine Stimmbänder den Cockerschen Urschrei nach wie vor so klaglos hinnehmen - auch wenn er während des Konzerts mehrere Flaschen Wasser zum »ölen« verbraucht. Seinem Ruf als »der Weiße mit der schwärzesten Stimme« wird der noch 60er in Bielefeld jedenfalls mehr als gerecht.
Natürlich kommen die begeisterten Besucher (der überwiegende Teil dürfte im Alter zwischen 30 und 50 gewesen sein) auch in den Genuss der einzigartigen Luftgitarre-Nummern mit den fast »spastisch« anmutenden Bewegungen des Engländers. Fast zwei Stunden lang röhrt, schreit und »spielt« Cocker, der seine größte Fangemeinde nicht in seinem Heimatland, sondern in Deutschland hat. Ohne jedes Zeichen von Ermüdung. Klasse.
So, wie übrigens im Vorprogramm schon Richard Marx. Mit seinen Balladen und härteren Rocktiteln bereitete er den Boden für den Cocker-Abend.
Bleibt nur zu hoffen, dass es Veranstalter Hans Strathmann in einigen Jahren erneut gelingt, Joe Cocker für ein Konzert nach Ostwestfalen-Lippe zu locken. Vielleicht zum 65.

Artikel vom 19.05.2005