19.05.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Herculaneum gab den
kulturellen Anstoß

Ausstellung mit Funden aus Römerstadt in Haltern

Von Gerd Korinthenberg
Haltern (dpa). Neue archäologische Fundstücke aus der untergegangenen Römerstadt Herculaneum bei Neapel sind vom Samstag an erstmals in Deutschland zu sehen. Die kostbaren Kunstwerke und Alltagsobjekte aus den antiken Villen und Wohnhäusern werden bis zum 14. August im Römermuseum ausgestellt.

Die Stadt ist - wie der größere und heute bekanntere Nachbarort Pompeji - im Jahr 79 n. Chr. bei einem katastrophalen Vesuv-Ausbruch verschüttet worden. Zu den Höhepunkten der Schau mit ihren 170 Exponaten, die noch von September an bis April 2006 nach Berlin und Bremen gehen, gehören zwei bronzene Athletenfiguren nach klassisch-griechischem Vorbild. Die beiden erstmals im Norden zu sehenden nackten Läufer mit ihrem anrührenden Gesichtsausdruck und gespannten Körpern gehören als Kunstwerke von Weltrang zu den frühen Funden der ab 1738 ausgegrabenen versunkenen Stadt am Golf von Neapel.
»Es ist viel Unheil in der Welt geschehen, aber wenig, das den Nachkommen so viel Freude gemacht hätte«, notierte Goethe 1787 beeindruckt vom Besuchs Pompejis - ganz so, als ob er die sorgfältig inszenierte Halterner Schau gesehen hätte. Binnen weniger Sekunden, so erklären neueste Forschungen, war am 25. August des Jahres 79 n. Chr. alles Leben in Herculaneum von einer 400 Grad heißen Hitzewelle ausgelöscht worden: Die Menschen starben in Sekunden, ihre Welt erstarrte - zusätzlich konserviert unter Asche und Bims - für immer. Anrührend eine nie zuvor außerhalb Italiens gezeigte Kinderwiege, in der sich noch die verkohlte Babyleiche fand. Ein verglühter Brotlaib, ein zu Holzkohle gewordenes Geldkästchen, zerschmolzene Münzen und schwarzgebrannte Möbel künden vom Alltag ebenso wie bescheidene gläserne Halskettchen und eine Öllampe.
Feine Porzellanfiguren aus den Manufakturen Meißen, Berlin und Wien, Kupferstiche und Ölbilder des 19. Jahrhunderts belegen den ungeheuren kulturellen Anstoß, den Herculaneum bald nach seiner Entdeckung ganz Europa gegeben hat: Kunst und Architektur des Klassizismus wären ohne das »Antikenfieber« nicht denkbar.
Zwei zu Kohle gewordenen Papyrusrollen, erstmals überhaupt öffentlich zu sehen, gehören zu der in Herculaneum entdeckten größten Bibliothek der Römerzeit, der »Villa dei Papiri«, und warten noch auf ihre mühselige Entzifferung. Auch Bronze-Büsten von Dichtern und Philosophen künden von antiker Gelehrsamkeit; unter den vielen mythologischen Wandfresken gehört eine bewegte Szene der Herkules-Sage wohl zu den schönsten Bildern der römischen Welt. Wie im antiken Drama erregen die schmerzverkrümmten Skelette einiger der insgesamt bisher entdeckten 300 Toten in einer Großvitrine gleich neben den feinsinnigen Kunstwerken Furcht und auch Mitleid des Betrachters.

Artikel vom 19.05.2005