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»Apotheke
der Welt«

Gesundheit - ein hohes Gut

Von Jürgen R. Thumann
Gesundheit ist eines unserer höchsten Güter. Technologische Fortschritte und stark steigende Lebenserwartung bieten große Chancen für Wachstum und neue Jobs. Gesundheit kann ein zentraler Wachstumsfaktor sein - sowohl aus der Sicht des Patienten als auch für die gesamte Volkswirtschaft.

Aber momentan ist Gesundheit noch viel zu sehr ein »gefürchtetes Kostenelement«. Sicher auch, weil sie die Arbeitskosten um 14 Prozent erhöht und damit Beschäftigung vermindernd wirkt. Die Folge: Budgetierungen der Krankenkassen und Festbetragsregelungen fesseln den Gesundheitsmarkt.
Diese Fesseln müssen wir lösen. Die Gesundheitspolitik darf nicht länger nur unter dem Aspekt betrieben werden, wie wir die bestehenden Kassensysteme finanzieren. Wir müssen das Gesundheitssystem so umgestalten, dass wir den Spielraum für Wachstum deutlich erweitern. Deswegen plädiere ich für die Abkoppelung der Versicherungsbeiträge von den Arbeitskosten. Es käme ja auch kein vernünftiger Mensch auf die Idee, den Brotpreis an die Löhne zu koppeln. Die Gesundheitsbranche wird umso kräftiger zum Wachstum beitragen, je konsequenter wir ihr den Charakter der Arbeitskostenbelastung nehmen. Mit der Bürgerversicherung ist das nicht zu erreichen. Denn sie zementiert die wachstumshemmenden einkommensabhängigen Beiträge. So verspielen wir weiterhin Chancen für mehr Wachstum und neue Jobs.
Um die Beiträge vom Lohn abzukoppeln, müssen wir schon zu Pauschalen für die Grundversorgung kommen, die für alle Bürger in einer bestimmten Versicherung gleich sind. Oder vielleicht müssen wir sogar zu individuellen risikoabhängigen Beiträgen kommen. Nur so können wir die Wachstumschancen des Gesundheitsmarktes nutzen - im Interesse der Wirtschaft und der Patienten. Die Politik muss sich deshalb vornehmen, das spätestens zu Beginn der nächsten Legislaturperiode zu realisieren.
Es muss uns vor allem aber gelingen, rasch zu einer wachstumsfreundlicheren Behandlung von Innovationen im jetzigen System zu kommen. Durch mehr Raum für Innovationen muss sich Deutschland weltweit als »Kompetenzzentrum für Gesundheit« profilieren. Wenn wir Wachstum wollen, dann kann und darf aber über Innovationen nicht staatlich autorisiert zentral entschieden werden. Das müssen wir den Märkten, dem Wettbewerb und vor allem den Patienten und ihren Ärzten überlassen. Der Staat sollte sich nicht in die Wahl der Therapie einmischen und nicht politisch die Preise verzerren. Stattdessen brauchen wir klare Kostenstrukturen und mehr Selbstbeteiligung der Patienten durch Zuzahlungen und Praxisgebühr - bis zu einem tragbaren Höchstbetrag natürlich.
Freilich kann man gerade bei der Selbstbeteiligung bessere und schlechtere Methoden wählen. Ob die weitestgehende Ausgrenzung rezeptfreier Arzneimittel aus der Versorgung der gesetzlichen Krankenversicherung sinnvoll ist, ist zweifelhaft. Ob rezeptfrei oder nicht hat schließlich mit den Risiken eines Medikaments, nicht aber mit seiner Wirksamkeit zu tun.
Entscheidend ist, Forschung und Entwicklung zu forcieren und nicht durch Preisregulierungen unattraktiv zu machen. Die Festlegung von Festbetragsgruppen für patentgeschützte Arzneimittel höhlt den Patentschutz in Deutschland aus. So werden Forschung und Entwicklung innovativer Arzneimittel in Deutschland in Frage gestellt. Das würgt den Wachstumsmarkt Gesundheit ab, denn es treibt Investitionen und Produktion aus dem Land. Patentgeschütze Arzneimittel sollten deshalb nicht der Festbetragsregelung unterliegen.
Wir brauchen aber nicht nur die Rendite in den Unternehmen, um Forschung und Entwicklung in Deutschland voranzutreiben. Wir brauchen auch die Brillanz der Forschung an den Universitäten. Unter dem Dach der Universitätskliniken müssen Forschung, klinische Forschung, medizinische Hochschulausbildung und innovativer Krankenhausbetrieb zusammen effizient betrieben werden können. Dabei muss das Management den Kliniken überlassen bleiben. Und wer das gut macht, bleibt. Die Universitätskliniken müssen den medizinischen Fortschritt antreiben.
Wie sichern wir dabei das Geld für die Forschung? Um Innovationskraft zu gewährleisten, ist ein Zusammenspiel von Staat und Krankenkassen nötig. Die Krankenversicherungen müssen gerade stehen für die komplette Patientenversorgung, vom einfachsten bis zum kompliziertesten Fall. Der Staat muss gerade stehen für Forschung und Lehre. Er hat sich verpflichtet, ein Prozent vom Bruttoinlandsprodukt in die Forschung zu investieren - vier Milliarden Euro Spielraum für vitale Ideen!
Von 1990 bis 2002 haben sich in Europa die Investitionen im Pharmabereich verdoppelt - in den USA jedoch verfünffacht! Natürlich Investitionen von Staat und Wirtschaft zusammen. In der Höhe dieser Summen und in der Freiheit des Marktes liegen die Ursachen für den Erfolg des Gesundheitssektors in den USA und für den herben Rückgang der deutschen Pharmaindustrie. Das muss uns zu denken geben, wenn wir eine ordentliche Scheibe des Wachstumsmarktes Gesundheit für unser Land abschneiden wollen. Wir müssen die Wachstumsbremsen im Gesundheitssystem lösen. Innovation muss Vorfahrt haben. Dann können wir wieder die »Apotheke der Welt« werden. So können wir die Chancen nutzen, die der Gesundheitsmarkt für Wachstum und Beschäftigung bietet.

Artikel vom 26.05.2005