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Kapitalismus-Kritik schreckt Investoren ab

Positive Entwicklungen: Vieles läuft in den mittelständischen Betrieben in Ostwestfalen-Lippe vorbildlich


Von Herbert Sommer
Die momentane Situation für Unternehmen in Deutschland ist von Unsicherheit geprägt. Mehrere Wirtschaftsforschungsinstitute und kürzlich auch die Bundesregierung mussten ihre Wachstumsprognosen für das laufende Jahr zurücknehmen. Kaum jemand erwartet mehr als ein Plus von einem Prozent, eher weniger.
Daneben wird aus Kreisen der Politik Unsicherheit geschürt. Der SPD-Bundesvorsitzende Müntefering eröffnete vor der NRW-Wahl mit seiner polemischen Kapitalismus-Kritik eine heftige Diskussion, die zwischenzeitlich eskalierte und in der eigenen Partei Forderungen nach einer eher wirtschaftfeindlichen Politik provozierte. Beobachter im Ausland schüttelten nur den Kopf, Investoren rieben sich verwundert die Augen. Auch wenn die Debatte nach der Landtagswahl hoffentlich so nicht weitergeführt wird, bleibt breite Verunsicherung zurück.
Diese Diskussion ist für den Standort doppelt schädlich, da sie zum einen mögliche ausländische Investoren abschreckt. Zum anderen verstellt sie den Blick auf die Dinge, die in den mittelständischen Betrieben vorbildlich laufen. Sie negiert auch das, was mit Hilfe der Wirtschaft gerade auch in Ostwestfalen an positiver Entwicklung geleistet worden ist.
In den vergangenen Jahren hat es die Region geschafft, bundesweit als Modellregion für Bürokratieabbau des Landes NRW bekannt zu werden. Hieran waren Unternehmer maßgeblich beteiligt. Und zwar nicht nur auf dem Papier. Für eine ganze Reihe von Betrieben zahlen sich diese Fortschritte im Alltag bereits aus. Das sollte uns ermutigen, das Projekt der Entbürokratisierung auf eine noch breitere Grundlage zu stellen.
Einige Beispiele zeigen, wie sich bereits heute weniger Bürokratie positiv auf die Unternehmensentwicklung in der Modellregion OWL auswirkt. Ein Unternehmen aus Kirchlengern baut ein neues Logistikzentrum an ein bestehendes Gebäude an - ein 25 Millionen Euro-Projekt, die höchste Einzelinvestition in der Firmengeschichte. Neu geschaffen wurden darüber hinaus 120 Arbeitsplätze. Das Logistikzentrum steht auf dem Gelände der Nachbarstadt Bünde, innerhalb von nur neun Monaten wurde aus dem Ackerland eine Gewerbefläche. Damit dies möglich wurde, mussten der Flächennutzungsplan geändert, ein Bebauungsplan aufgestellt und eine Baugenehmigung erteilt werden. Eigentlich ein Unterfangen, dass in Deutschland normalerweise zwei Jahre in Anspruch nimmt, sofern es überhaupt funktioniert.
Möglich wurde die schnelle Lösung durch die enge Zusammenarbeit im Verwaltungsnetzwerk »Widufix« des Kreises Herford. Ein Modell mit Vorbildcharakter: Weitere Kreise und Städte aus Ostwestfalen-Lippe wollen nun ebenfalls ihr Genehmigungsmanagement neu strukturieren und so Behördennetzwerke mit Verfahrenskoordinatoren und Servicegarantien schaffen - um Unternehmen optimal zu betreuen.
Durch das neue Ergänzungsgesetz, das im April im Düsseldorfer Landtag verabschiedet wurde und weitere Erleichterungen für die Modellregion OWL bringt, wird zum Beispiel bei einer Nutzungsänderung von Gebäuden die Geneh-


migungspflicht durch ein Anzeigeverfahren ersetzt. So ist für die Nutzungsänderung einer Produktionshalle in eine Lagerhalle oder einer Arztpraxis in eine Rechtsanwaltskanzlei künftig in der Regel keine neue Baugeneh- migung erforderlich.
Schon durch das im vergangenen Jahr in Kraft getreten Bürokratieabbaugesetz werden Existenzgründungen aus Hochschulen in OWL gefördert. Gründer müssen für die Nutzung von Hochschuleinrichtungen (zum Beispiel Büros, technische Geräte) nicht mehr den tatsächlichen Wert bezahlen, die Universitäten können günstigere Tarife festlegen. Die Nutzung von »Diensterfindungen« für Existenzgründungen wird unterstützt. Quantität und Qualität der Existenzgründungen aus den Hochschulen steigen.
Und ein weiterer Punkt hilft der Region: Unternehmen benötigen häufig Genehmigungen von staatlichen Behörden, zum Beispiel dem Staatlichen Umweltamt, dem Staatlichen Amt für Arbeitsschutz und der Bezirksregierung - drei verschiedene Behörden an unterschiedlichen Standorten. In OWL sind durch das Bürokratieabbaugesetz die Zuständigkeiten komprimiert worden: Die zwei Staatlichen Umweltämter, die zwei Staatlichen Ämter für Arbeitsschutz und Teile der Bezirksregierung wurden zum Staatlichen Amt für Umwelt und Arbeitsschutz OWL zusammengeführt. Die neue Behörde hat kundenfreundlich an vier Standorten Bürgerbüros eingerichtet, durch Servicegarantien erhalten die Unternehmer mehr Planungssicherheit. Die Wirtschaft hätte sich eine noch effizientere Integration der Funktionen in einer Behörde gewünscht, aber auch diese Lösung bringt Verbesserungen.
Auch im Justizbereich wirkt die Modellregion: Für drei Jahre testet das Justizministerium in drei Landgerichtsbezirken innovative Lösungen. Beim Landgericht Paderborn steht dabei die Mediation im Mittelpunkt - und zeigt Wirkung, wie folgendes Beispiel zeigt. Zwischen zwei Unternehmen kam es zu heftigem Streit wegen Mängeln bei der Produktqualität. Da sie sich nicht einigen konnten, war das Verfahren bei Gericht anhängig. Durch ein richterliches Mediationsverfahren vor dem eigentlichen Prozess konnte der Streit zur Zufriedenheit beider Beteiligten gelöst werden, weil nicht die Schuldfrage, sondern die Lösungssuche im Vordergrund stand. Die Unternehmen haben so einen mehrjährigen Rechtsstreit vermieden.
Die Beispiele zeigen, dass Verbesserungen für Unternehmen oft in vielen kleinen Schritten erzielt werden, fernab von aufgeregten Kapitalismus-Diskussionen. Sie zeigen auch, dass Ostwestfalen seine Chancen nutzt, um als Standort für Unternehmen noch attraktiver zu werden.

Artikel vom 26.05.2005