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»Wollen den Rest der Welt«

Aus der Garage zum High-Tech-Betrieb für aktive Rollstuhlfahrer

Von Silvia Scheideler
Delbrück (WB). Mit Holländern und Skandinaviern hat »Speedy« schon immer gute Geschäfte gemacht. »Jetzt wollen wir den Rest der Welt«, meint Jungunternehmer Rolf Kuhlmann. Erst vor wenigen Monaten hat der 42-Jährige einen neuen Mitarbeiter eingestellt, der im Ausland für die Produkte des Reha-Technik-Unternehmens werben soll. In Deutschland gibt es 500 000 Rollstuhlfahrer. Wie viele von ihnen schon Zuggeräte von »Speedy« vor den Rollstuhl gespannt haben, will der Geschäftsinhaber aber nicht verraten.

Als der Delbrücker 1981 nach einem Motorradunfall querschnittsgelähmt war, brach für ihn eine Welt zusammen, die er sich aber in wenigen Jahren ganz anders und neu aufbaute. Heute beschäftigt Kuhlmann 35 Mitarbeiter am Standort Delbrück. Acht von ihnen sitzen wie er im Rollstuhl: »Besonders bei den Außendienstmitarbeitern ist das von Vorteil, weil sie die Probleme des Kunden sofort erkennnen.«
»Vom blanken Rohr bis zum fertigen Produkt«, lautet das Motto bei dem Rollstuhlzuggeräte-Spezialisten »Speedy«. Gemeinsam mit seinen mittlerweile zwei Entwicklern Meinolf Kersting (Technik) und Meinolf Engelmann (Elektronik) konzipiert Kuhlmann die verschiedensten Rollstuhlzuggeräte.
Die Unternehmensphilosophie ist es, Menschen mit ihrem Rollstuhl mobiler zu machen und das, ohne sie behinderter aussehen zu lassen, als sie es sind. Die Modelle sind über die patentierte Kupplung sekundenschnell und ohne fremde Hilfe anzubringen. »Wenn ich den Rollstuhl über die Räder antreiben würde, käme ich mit meiner Behinderung gar nicht weit. Mit dem Hand- bike brauche ich viel weniger Kraft in den Händen. Mein Auto benutze ich kaum noch«, sagt Rolf Kuhlmann, der sich selbst als seinen besten Kunden bezeichnet.
Ein Untersuchung der Universität Marburg hat gezeigt, dass die Fortbewegung für Rollstuhlfahrer mit dem Handbike um den Faktor fünf leichter ist. Das liegt zum einen daran, dass die vorderen, kleinen Räder des Rollstuhls angehoben werden, dabei fällt 80 Prozent des Rollwiderstandes weg. Zum anderen, was noch viel entscheidender ist, entfällt auch die Kraft, die der Rollstuhlfahrer sonst zum Lenken brauchen würde. Die Lenkung läuft nicht mehr über die Räder, sondern über eine gesonderte Lenkung.
Angefangen hat die Firmengeschichte 1994, als Kuhlmann gerade seinen Fachkaufmann für Marketing abgeschlossen hatte. »Erst wollte ich nur einen Vertrieb von Reha-Produkten aufbauen«, erzählt der gelernte Dachdecker. Dann habe er aus Spaß mit einem Freund über die Entwicklung eines Handbikes nachgedacht. Unter dem Carport ging es dann ans Handwerkliche. »Schweißen konnten wir nur, wenn kein Wind da war«, erinnert sich der Unternehmer. Schnell war klar, dass ein Gebäude her muss. Im Winter 1994 stand die 120-Quadratmeter-Werkstatt auf dem Häuerlingshof von Rolf Kuhlmann - einen Angestellten hatte er auch schon.
Als die Geschichte von »Speedy« startete, gab es nur einen Mitwerber auf dem Markt, so dass die Geschäfte gut liefen. »Irgendwann war alles voll gepackt mit Material«, erzählt der Firmengründer. So wurde 1997 der erste Bauabschnitt im Gewerbegebiet West erstellt, zwei Jahre später wurde das Gebäude um 900 Quadratmeter erweitert, heute sind es knapp 2000 Quadratmeter. »Irgendwann musste ich entscheiden, entweder wachsen oder Rückschritt. Ich habe mich fürs Wachsen entschieden«, sagt der Unternehmer. »Ich habe aber nie expandiert, wenn ich nicht musste.«
Morgens kommt Rolf Kuhlmann mit dem Erstmodell, dem »Speedy« Bike, zur Arbeit. 35 000 Kilometer hat er in den elf Jahren mit zwei Rädern absolviert. Mittlerweile gibt es acht verschiedene Modelle. Das »Speedy« Elektra ist ein rein elektronisches Zuggerät, wahlweise mit sechs Kilometern pro Stunde oder 15. Das »Speedy« Tandem ist ein spezielles Fahrrad, an das jede Art von Rollstuhl angekoppelt werden kann. Das Sportbike für den Profi heißt »Speedy«- B 26.
»Speedy«-Duo ist ein Handbike mit intelligenter Motorunterstützung, es erkennt die Kraft, die auf die Kurbel ausgeübt wird und schaltet dann, wenn nötig, den Motor ein. »Das ÝSpeedyÜ-Pedalofit ist speziell für Menschen angefertigt, deren Gehbehinderung den Fußbetrieb ermöglicht«, erklärt Kuhlmann ein weiteres Modell.
Das »Speedy«- E light ist die leichtere, abgespeckte Variante vom »Speedy«-Elektra. Zur Produktpalette gehören auch leichte Carbon-Räder, die in Delbrück für Rollstühle produziert werden. Natürlich werden die Modelle auch ständig auf dem neuesten Stand gehalten. Erfahrungen von Kunden geben die Verbesserungsvorschläge. Das Modell Laser ist das einzige nicht alltagstaugliche, weil der eigene Rollstuhl stehen gelassen wird, um die Rennmaschine Laser zu nutzen. Seit Anfang des Jahres hat »Speedy« sogar ein eigenes Rennteam. Fünf Sportler gehen bei City-Marathons mit dem »Laser« an den Start.
Rolf Kuhlmann ist stolz darauf, dass sein Spartenunternehmen gewachsen ist, währenddessen der sonstige Reha-Markt durch die Gesundheitsreform weggebrochen ist.
»Der Vorteil von einem kleinen Unternehmen ist die Flexibilität«, ist sich Kuhlmann sicher. Wer könne sonst so individuell arbeiten und das Produkt auf die Behinderung des jeweiligen Kunden anpassen. Also wird es wohl auch in Zukunft kein Problem sein, bei »Speedy« ein vergoldetes Bike zu bestellen: »Extrawünsche sind halt kein Problem.«

Artikel vom 26.05.2005