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Unterrichtsausfall auch
im nächsten Schuljahr

Nur auf dem Papier gibt es genügend Lehrerstellen

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld (WB). Entgegen allen politischen Beteuerungen wird es im kommenden Schuljahr wieder zu Unterrichtsausfall auch in Ostwestfalen kommen.

Angeheizt durch den Wahlkampf und CDU-Plakate mit dem Hinweis auf fünf Millionen Schulstunden, die angeblich ausfallen, schalten sich derzeit Eltern, Lehrer und auch Kommunalpolitiker in die Debatte ein. Nach Recherchen dieser Zeitung können Regierung und Opposition, aber auch Schulverwaltung und Elternvertreter gute Argumente für sich ins Feld führen. Unter dem Strich schließt aber keine Seite aus, dass im neuen Schuljahr die theoretische Vollversorgung in der Praxis auch Unterrichtsausfall bedeutet.
Das CDU-Wahlkampfargument kontern Ministerpräsident und Schulministerin mit dem Hinweis, diese Zahlen seien zwei Jahre alt - was stimmt. Die Opposition bemerkt, dass die offizielle Statistik, ganz unüblich, erst nach der Wahl aktualisiert wird.
Rot-Grün verweist wiederum darauf, dass in den vergangenen zwei Jahren mehr als 4000 Lehrer zusätzlich eingestellt wurden. Auch das ist richtig. Die Lehrkräfte wurden aber laut CDU durch Zusatzangebote wie Englisch in der Grundschule und ganz einfach mehr Schüler vollständig aufgezehrt, ebenfalls zutreffend.
Wer das Thema von unten angeht, erfährt, dass schon jetzt Stundenausfälle für das kommende Schuljahr absehbar sind, dass es im Regierungsbezirk Detmold rechnerisch sogar ein Überangebot an Lehrern gibt. Nach Angaben von Bernd Wesemeyer, Leiter der Schulabteilung, beträgt die Lehrerversorgung auf Bezirksebene an Grundschulen 102 Prozent, Hauptschulen 104, Realschulen 100,1, Gymnasien 98 und Gesamtschulen 99,9 Prozent.
»Glatte 100 Prozent reichen nicht aus«, erläutert dazu Barbara Hommel, Bezirksvorsitzende im Verband Bildung und Erziehung. Nach Berechnungen des VBE benötigen Schulen eine 106-prozentige Besetzung, um kurzfristig Erkrankungen aber auch eine Reihe von weiteren Anforderungen erfüllen zu können. »Die zu leistende Differenzierung, Förderung einzelner und der individuelle Blick auf Schüler lässt die rein rechnerische Vorgabe von 100 Prozent regelmäßig an der Praxis scheitern«, weiß Hommel. Zuschläge für Migranten blieben ebenso unberücksichtigt wie eine ungünstige Altersstruktur in einem Kollegium. Stünden gleich mehrere Lehrer kurz vor dem Ruhestand, erläutert die Herforder Lehrerin Barbara Hommel, sei das eine andere Situation, als wenn unverbrauchte Junglehrer die gleichen Klassen unterrichteten.
Udo Beckmann, Landesvorsitzender des VBE ergänzt, dass der Finanztopf »Geld statt Stellen« für 2005 schon ausgeschöpft sei. Dies allerdings bestreitet die Bezirksregierung. Wesemeyer: »Wir kommen damit noch recht weit.«
Bliebe da noch die Leitung einer kleinen Grundschule, die auf keinen Fall genannt, aber auf jeden Fall korrekt versorgt werden möchte und heute schon weiß, dass sie im kommenden Jahr etwa 0,7 Lehrer zu wenig haben wird - und zwar bevor noch ein weiterer überraschend krank wird.
Ob Schulen mit 102 Prozent oder mit 98 Prozent Lehrerversorgung: Nicht immer ziehen Kreisschulämter wie Schulaufsicht Abordnungen und Versetzungen so rigoros durch, wie die Politik derzeit diskutiert. Kurzum: Die glatte Null gibt es auf dem Papier, aber nicht in der richtigen Schule.

Artikel vom 20.05.2005