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Große Lust
auf das Leben

»Die Perlenstickerinnen«


Die 17-jährige Claire (Lola Naymark), Kassiererin in einem Supermarkt in der französischen Provinz, wird ungewollt schwanger. Aber das stille Mädchen mit den leuchtend roten Haaren traut sich nicht, ihr Geheimnis preiszugeben, und sondert sich immer mehr von Familie und Freunden ab. Wie eine Diebin nähert sie sich zu Beginn des Films dem Gemüsebeet ihres Vaters, um etwas Essbares zu ergattern.
Als ihr Bauch merklich dicker wird, erfindet Claire Lügengeschichten über eine unheilbare Krankheit; sie driftet immer mehr in eine Traumwelt ab. Nur die kunstvollen Stickereien, die sie heimlich anfertigt, lassen etwas erahnen von ihrem künstlerischen Talent und einer unbändigen, noch unentdeckten Lust auf das Leben.
Die französische Regisseurin Eléonore Faucher hat mit »Brodeuses«, so der Originaltitel, ein intensives, unspektakuläres, aber sehr berührendes Drama in Szene gesetzt, auch wenn das Strickmuster ihres bereits mehrfach preisgekrönten Debütfilms manchmal etwas vorhersehbar und beliebig wirkt. Dennoch: In der Stille liegt die Kraft dieser bedächtigen, wortkargen Geschichte vom Erwachsenwerden.
Als Claire fast schon verzweifelt, nimmt sie auf Anraten einer Freundin einen Job bei der Haute-Couture-Stickerin Madame Melikian (Ariane Ascaride) an. Nun vollzieht sich eine erstaunliche Wandlung: Über der Arbeit mit den Perlen, Pailletten und kostbaren Stoffen wie Seide und Chiffon blüht Claire förmlich auf, und auch ihre sehr zurückhaltende Lehrerin, die ihren Sohn bei einem Motorradunfall verloren hat, wird gesprächiger. Die beiden Frauen finden über das Kunsthandwerk zueinander.
»Für die Geschichte war es notwendig, dass Madame Melikian durch ihre Stickerei großartig wirkte und dass das Baby in Claires Bauch freudig gedeiht. Das Atelier ist in meinen Augen eine Art Höhle, in der sie sich versteckt - wie in einem Bauch.« So beschreibt Eléonore Faucher ihre Intentionen. Immer wieder gleitet die Kamera über die phantastisch-opulenten Stickereien und Arabesken und erzeugt eine fast tranceartige Transparenz und Schwerelosigkeit. In diesem Film gibt es viel Stoff, der zum Träumen anregt.
Für Claire entwirrt sich schließlich das Dilemma, in das sie durch die ungewollte Schwangerschaft gestoßen wurde. Sie findet den roten Faden wieder, der sie aus ihrem Gefühlslabyrinth führt.

Artikel vom 19.05.2005