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Leitartikel
Chodorkowskij-Prozess

Ölprinzen
geschieht
nicht Recht


Von Bernhard Hertlein
Es soll deutsche Politiker geben, die Russland bereits für einen Rechtsstaat halten. Wenige Unternehmer dementieren dies öffentlich. Aber dass sie sich seit Beginn des Schauprozesses gegen Michail Borissowitsch Chodorkowskij mit Investitionen in Vladimir Putins Reich zurückhalten, spricht Bände.
Das Bild des kurzgeschorenen Mannes, der hinter einem Stahlgitter den Prozess gegen sich verfolgt, hat den früheren Yukos-Mehrheitsaktionär noch bekannter und vermutlich auch beliebter gemacht als sein vorheriger Reichtum. Die Gitter in dem miefigen kleinen Raum im Moskauer Meschanski-Gericht sind ebenso überflüssig wie die Maschinengewehre der Polizisten, die Chodorkoswkij bewachen. Er war gewarnt und hätte sich -Êwie mancher russische Oligarch vor ihm -Êins Ausland absetzen können. Dass er es nicht tat, legen manche Beobachter sogar so weit aus, er habe sich bewusst verhaften lassen. Dies würde bedeuten: Chodorkowskij hat noch viel vor, will vermutlich in die Politik. Dann würde er zu einer Gefahr für den amtierenden Präsidenten -Êsogar, wenn er noch im Gefängnis säße.
Als der damals erst 40-jährige im Oktober 2003 wegen schweren Betrugs, Steuerhinterziehung und Urkundenfälschung verhaftet wurde, galt er als reichster Russe. Die Zeitschrift Forbes führte ihn auf Platz 26 ihrer globalen Vermögensliste. Aus den Trümmern des Kommunismus und allgemeiner Gleichheit zu solchen Höhen aufgestiegen - da konnte nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein. Bekannt ist Chodorkowskijs Nähe zum Apparat von Putins Vorgänger Boris Jelzin. Schnell ist man - als Russe ebenso wie als ausländischer Beobachter - mit dem Schluss bei der Hand, dass dem Oligarchen doch nur Recht geschehe, wenn ihm das viele Geld wieder abgenommen werde.
Doch Zweifel sind angebracht. Recht geschieht grundsätzlich dem, der für erwiesenes Unrecht bestraft wird. Als Unrecht aber kann nur gelten, was schon zum Zeitpunkt der Tat verboten gewesen ist. An diesen Hürden scheitern bereits mehrere Anklagepunkte.
Hinzu kommt, dass in den Gründerjahren des russischen »Big Business« wohl allgemein manches Auge zugedrückt oder auch mit Geldscheinen zugekleistert wurde.
Putin hat deshalb schon eine Amnestie für in den neunziger Jahren begangene Steuervergehen in Aussicht gestellt. Umso fragwürdiger die Energie, mit der der Staat den prominenten Häftling im Untersuchungsgefängnis Matrosenstille verfolgt. Der Konzern des »Ölprinzen« wurde zerschlagen. Vor Gericht wurden elementare Rechte der Verteidiger missachtet. Dagegen wurde der Staatsanwalt schon während des Prozesses zwei Mal befördert.
Die Botschaft ist wie bei jedem russischen Schauprozess auch in der Vergangenheit eine politische. Wer auch immer in der Gesellschaft sich mit dem Staatspräsidenten anlegt, muss mit harten Konsequenzen rechnen. Und das ganz unabhängig von seinem Besitz und seinem Ansehen.

Artikel vom 18.05.2005