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Weltklasse in
der Kreisklasse

Vogt macht bei Lok Leipzig Karriere

Von Thomas Bertz
Leipzig (WB). Für Dirk Vogt ist ein Traum in Erfüllung gegangen: Er spielt regelmäßig vor mehreren Tausend begeisterten Fans Fußball. Dafür nimmt der Bielefelder Torjäger nicht nur einige Kilometer, sondern auch den Abstieg in die unterste Spielklasse in Kauf.

Es ist schon paradox: Dirk Vogts neuer Klub Lokomotive Leipzig spielt in der 3. Kreisklasse und hat einen Zuschauerschnitt, über den mancher Regionalligist froh wäre. 3 500 Fans pilgern im Schnitt ins Bruno-Plache-Stadion, um die Heimspiele in Deutschlands niedrigster Spielklasse zu verfolgen. Auswärts kommen gut 1 500 (vornehmlich Lok-Fans) zu den Spielen. »So stellt man sich großen Fußball vor. Ich freue mich auf jedes Spiel«, schwärmt Dirk Vogt von den Anhängern seines Vereins und schreibt fleißig Autogramme. Das hätte er sich zu seinen Bielefelder Stürmerzeiten wohl nicht träumen lassen: »Beim Bezirksligisten TuS Ost in den Heeper Fichten hatten wir vielleicht 50 Zuschauer.«
Lok Leipzig begeistert in der sächsischen Metropole die Massen und ist Kult. Das merkt man der Stimmung im baufälligen Stadion 90 Minuten lang an. Als Nachfolge-Verein des ersten deutschen Meisters VfB Leipzig, der in die Insolvenz musste, gründete sich der Klub 2004 neu, mit dem traditionellen Vereinsnamen »Lokomotive«. Das erwies sich als absolutes Zugpferd, denn nicht nur Fans, sondern auch Spieler rannten dem Verein trotz niedriger Spielklasse die Türe ein. Auf dem Spielfeld hagelte es Erfolge: 23 Spiele, 23 Siege. Das Torverhältnis exorbitant: 266:7 Treffer.
Der erste Schritt aus dem Tal der Leipziger Tränen wäre damit getan. Doch das ist Lok nicht genug. Dank einer Fusion, die mit Leipziger Spenden besiegelt wurde, überspringt die Lokomotive zur nächsten Saison drei Ligen und spielt dann in der 8. Liga. Die Leipziger wollen aber noch mehr. »Ich will den Durchmarsch bis in die Oberliga«, plant Trainer Rainer Lisiewicz.
Sicher sein kann sich der Leipziger Kult-Klub der Unterstützung zahlreicher prominenter Kicker. Die ehemaligen Nationalspieler Heiko Scholz und Bernd Hobsch hatten sich das Leipziger Trikot bereits übergestreift. Jetzt trug Rekordnationalspieler Lothar Matthäus das gelbe Jersey: »Es ist wichtig, dass bedeutende Spieler dahin gehen, wo die Sonne nicht scheint«, erklärt der 44 Jahre alte Matthäus seine Aufbauhilfe Ost. »Der Lothar ist ein Super-Kerl und überhaupt nicht arrogant«, freute sich Stürmer Dirk Vogt über das Highlight seiner Karriere. 70 Minuten stand er kürzlich gemeinsam mit »Loddar« auf dem Feld, gab ihm sogar eine Vorlage, die der Rekordnationalspieler aber versemmelte.
Die Idee nach Leipzig zu wechseln entstand im übrigen aus einer Bier-Laune heraus: Gemeinsam mit seinem Chef Hans-Peter Grönitz, einem gebürtigen Leipziger, sah Dirk Vogt Bilder vom »Weltrekord-Spiel« von Lok Leipzig. Zu Saisonbeginn waren 12 000 Zuschauer zu einem Kreisligaspiel gekommen. »Weltklasse«, staunte Vogt und wollte teilhaben. Kein Problem dachten sich Grönitz und Vogt und stielten den Wechsel zu Lok ein. Seitdem pendelt der agile Stürmer zwischen Bielefeld und Leipzig: 400 Kilometer hin und 400 wieder zurück. Und steht Vogt im Stau, dann lassen die Lokisten ihre Spiele auch gerne mal ein paar Minuten später anfangen. Sie wissen eben genau, was sie an ihrer Nummer 16 haben.
37 Treffer hat Dirk Vogt in einer Halbserie erzielt und steht damit bereits auf Platz drei der internen Rangliste. »Von Null auf Hundert«, lobt Trainer Rainer Lisiewicz. Und: »Dirk hat seine Qualitäten jenseits der 11. Liga.« In der Sommerpause will Dirk Vogt seine Zelte in Bielefeld endgültig abbrechen und nach Leipzig ziehen. Gut möglich, dass aus dem ehemaligen Spieler des TuS Ost bald ein richtiger »Ossi« wird.
Abseits der Kreisliga C sieht der Torjäger Vogt, der noch in der Bezirksliga-Hinrunde vier Treffer für den TuS Ost erzielte, am kommenden Montag einem neuen Karriere-Höhepunkt entgegen. Weil Lok Leipzig bei der Gemeinschaftsaktion von Sport-Bild, Arcor und DSF, »Holt Euch die Hertha«, ein Heimspiel gegen den Bundesligaklub Hertha BSC gewann, sitzt Trainer-Legende Udo Lattek auf der Lok-Bank und unterstützt den Kollegen Rainer Lisiewicz. Das Spiel wird ab 20 Uhr live im Deutschen Sportfernsehen übertragen.

Artikel vom 21.05.2005