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»Der Abstand schrumpft, jetzt
Schluss-Spurt mit aller Kraft«

Heute im Gespräch: NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD)

Paderborn (WB). Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) glaubt, den Trend bis zum 22. Mai noch zu seinen Gunsten wenden zu können. Fragen von Reinhard Brockman.

Herausforderer Jürgen Rüttgers meint, elf Prozent Vorsprung für Schwarz-Gelb »müssten« reichen. Sehen Sie das - von der anderen Seite betrachtet - genauso zurückhaltend? Steinbrück: Ja, ich glaube, dass sich die Wahl erst auf den letzten Metern entscheidet. Die jüngsten Umfragen haben den Vorsprung deutlich zusammenschmelzen lassen. Insofern ist das, was Herr Rüttgers wenige Stunden vorher gesagt hat, schon wieder wie Treibsand verweht. Es bleibt dabei: Das Rennen ist offen bis zum 22. Mai 17.59 Uhr.

Haben Sie noch Trümpfe im Ärmel? Steinbrück: Es wäre nicht glaubwürdig, wenige Tage vor der Wahl noch mit unausgegorenen Ideen aufzuwarten. Journalisten und Bürger würden das für puren Aktionismus halten. Es geht darum zu mobilisieren, die eigenen Leute ans Laufen zu kriegen und einen harten, aber fairen Wahlkampf zu machen.

Die FDP verspricht eine Million Arbeitsplätze. Sie auch? Steinbrück: Nein, das ist dummes Zeug. Politiker allein können das nicht garantieren. Politiker haben schon zu häufig Versprechungen gemacht, die sich nicht halten können.

Ist es unfair, nach Vollarbeitsplätzen zu fragen und zu so zu tun, als ob Vollbeschäftigung wieder hergestellt werden könne?Steinbrück: Teilzeit spielt heute eine sehr viel größere Rolle als vor 20 Jahren. Der klassische voll sozialversicherungspflichtige Arbeitsplatz ist nicht mehr überall die Regel. Die Arbeitswelt hat sich stark ausdifferenziert. Insofern ist die Fixierung allein auf den sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz ein wichtiger Teil, aber nicht das ganze Bild.

Hat Wirtschaftspolitik, wie Rüttgers auch sagt, mehr mit Klima zu tun als mit Konkretem im Sinne von »Ich erfinde jetzt ein Konjunkturprogramm«?Steinbrück: Es hat schon mit konkreten Maßnahmen zu tun, aber auch eine Menge mit Stimmung. Wer überall nur immer die Risiken sieht, statt sich darauf zu konzentrieren, die Chancen zu ergreifen, der bringt unser Land nicht nach vorn. Da liegt mein Hauptvorwurf an manche Verbands- und Wirtschaftsvertreter, aber auch diverse Sachverständige. Sie tragen mit andauerndem Jammern nicht dazu bei, dass sich die Stimmung bessert.

Franz Müntefering tut's auch nicht. Steinbrück: Ich hätte mir gewünscht, dass BDA-Präsident Hundt auch mal anerkennt, dass er jetzt die günstigste Unternehmensbesteuerung der letzten 20 Jahre hat. Wenn es zu den 19 Prozent Körperschaftssteuern für Kapitalgesellschaften kommt, dann liegt das deutlich niedriger als zu Zeiten von Helmut Kohl. Damals betrugen die Sätze 40 bzw. 45 Prozent. Einige sollten mit dem Genöle über den Standort Deutschland aufhören.
Die Steuererleichterungen für die Wirtschaft wurden auf Juni verschoben. Die Berliner bestreiten eine fehlende Mehrheit und behaupten, es gäbe keinen Zusammenhang mit dem 22. Mai.Steinbrück: Es ist ein interner Abstimmungsprozess in Berlin, der mit der Landtagswahl nichts zu tun hat. Fakt ist: Die rot-grüne Bundesregierung hat mit meiner Unterstützung konkrete Vorschläge gemacht. Jetzt muss die Opposition beweisen, ob sie mitzieht oder ob sie destruktiv herumkrittelt.

Sie sind auffällig zurückhaltend, sprechen weder von Heuschrecken noch Landplagen. Steinbrück: Richtig, und zwar bewusst. Ich glaube, dass die Wortwahl eine andere sein sollte. Ansonsten teile ich die Kritik dahingehend, dass es Fehlentwicklungen gibt. Und das sind keine Tabus, sondern die dürfen auch öffentlich kritisiert werden. In einem schwierigen Reformprozess müssen auch Unternehmens- und Verbandsvertreter eine Vorbildfunktion übernehmen. Wenn die Politik Vorleistungen erbringt, dann erwarte ich auch eine andere Ausstrahlung von Wirtschaftsvertretern. Sehr viele, mit denen ich täglich zu tun habe, werden ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht. Es gibt jedoch andere, die kein gutes Beispiel sind und die müssen sich meine Kritik gefallen lassen, zum BeispielÊ wenn Vorstandsgehälter exorbitant steigen und gleichzeitig Börsenkurse in den Sand gefahren und einfallslos tausende von Mitarbeitern entlassen werden.

Glauben Sie, dass Rüttgers am Dientag noch ein Kaninchen aus dem Hut zaubert? Steinbrück: Das erste TV-Duell hat mir jedenfalls Rückenwind gebracht. Es geht darum, in den letzten Tagen mit aller Kraft Wahlkampf zu machen. Ich stimme mich auf das zweite TV-Duell ein,Ê aber ich mache keine Faxen und schauspielere nicht rum.

Artikel vom 14.05.2005