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»Moral wegschaufeln«

Heute im Gespräch: Schauspieler Bruno Ganz

Bad Driburg (WB). In der Rolle des Adolf Hitler in »Der Untergang« erlangte Bruno Ganz Weltruhm. Beim Literatur- und Musikfest »Wege durch das Land« im Gräflichen Parkhotel in Bad Driburg las der 64-jährige aus Gedichten Friedrich Hölderlins. WESTFALEN-BLATT-Mitarbeiterin Ariane Mönikes sprach mit dem Schauspieler.
Schauspieler Bruno Ganz las Gedichte von Friedrich Hölderlin in Gräflichen Parkhotel in Bad Driburg.Foto: Jürgen Köster

Was machte für Sie den Reiz aus, Adolf Hitler in Oliver Hirschbiegels Drama »Der Untergang« zu verkörpern?Ganz: An der Rolle haben sich schon viele versucht, aber nicht in Deutschland. Hier lastete auf der Rolle eher ein Fluch, man hat Hitler kein Gesicht gegeben. Und dieses Tabu zu durchbrechen war nicht sehr einfach. Natürlich ist ein Mensch, der in so kurzer Zeit die ganze Welt verändert hat, eine so merkwürdige Gestalt, auch theatralisch gesehen, so einzigartig zu spielen.

Hatten Sie Probleme, in die Rolle hineinzufinden? Ganz: Das war nicht einfach. Am Anfang musste ich eine Menge Moral wegschaufeln.

Hat sie die Rolle nach Drehschluss denn losgelassen? Ganz: Es hört ja nie auf mit dem Verkauf von diesem Film. Nächsten Monat bin ich wegen des Films in Japan. Man kommt einfach nicht davon los.

Es gab Diskussionen, dass Hitler zu menschlich dargestellt wurde, wie sehen Sie das? Ganz: So etwas ist ziemlich leichtfertig in den Tag hineingeredet. Ich kann da genauso banal zurücksagen, dass Hitler nun mal ein Mensch war. Die Zeitzeugen haben viele Bücher geschrieben und haben diese Charakterzüge alle festgestellt. Ich habe in dem Film nichts dargestellt, was ich mir ausgedacht habe. Alles ist von Menschen bezeugt, die in Hitlers Nähe waren. Ich denke nicht, dass wir weiterkommen, wenn wir ständig nur der Ikone Hitler begegnen. Wenn wir begreifen wollen, was damals passiert ist, müssen wir an das Eingemachte ran, und das ist vermutlich der Mensch Hitler.

Wie wichtig ist Für Sie die Thematik des Dritten Reichs heute? Ganz: Seit dem Film gibt es eine regelrechte Hitler-Welle. Es wird auch nie aufhören. Manchmal schwappt die Thematik sehr stark hoch, manchmal ist sie wieder etwas schwächer. Im Moment ist sie aber wieder sehr stark. Das ist eine riesige Konjunktur.

Für die Veranstaltung »Wege durch das Land« haben sie Gedichte Friedrich Hölderlins gelesen. Was faszinierte Sie an ihm? Ganz: Hölderlin ist ein großer Dichter. Ich denke, diese Großartigkeit hat sich in deutscher Sprache bisher nicht wiederholt.

Gibt es Unterschiede, ob Sie auf der Schauspielbühne stehen oder, wie in Bad Driburg, eine Lesung halten? Ganz: Das ist ein immenser Unterschied. Beim Schauspiel bin ich als Mensch vollständig vorhanden, bei Lesungen sehe ich mich eher in der Rolle des Vermittlers.

Artikel vom 17.05.2005