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Tschechen feiern Jagr

Eishockey-WM: Kanadier als schlechte Verlierer

Wien (dpa). Tschechiens Eishockey-Superstar Jaromir Jagr küsste zärtlich seine Goldmedaille und fiel dann seinen Mannschaftskameraden erleichtert in die Arme.

Mit dem fünften Weltmeistertitel für Tschechien, aber dem ersten für ihn, erfüllte sich der 33- Jährige zwölf Monate nach der WM-Enttäuschung in Prag einen Traum. Mit zwei Vorlagen hatte Jagr beim 3:0 über Kanada großen Anteil daran, dass die »Ahornblätter« nach zuletzt zwei Finalsiegen über Schweden nicht zum ersten Titel-Hattrick seit 53 Jahren kamen. Zudem verpassten die Kanadier die Revanche für das 2:4 im Finale 1996 an gleicher Stelle.
»Ich bin froh, dass das geschafft ist. Aber ich spiele nicht nur, um zu gewinnen. Ich spiele, um Spaß am Eishockey zu haben, um mich mit einer angenehmen Mannschaft gemeinsam zu freuen und um die Zuschauer zu unterhalten«, sagte Jagr, der mit den Pittsburgh Penguins zwei Mal den Stanley Cup gewann, 1998 zum Olympiasieger-Team gehörte und in diesem Jahr Avangard Omsk zum Sieg im Endspiel um den europäischen Meister-Cup schoss. »Überschätzt das nicht, dazu braucht man auch viel Glück. Denkt nur an Erich Kühnhackl. Das war ein ausgezeichneter Spieler, aber mit Deutschland hatte er schlicht nicht die Möglichkeit, solche Titel zu erringen«, erklärte Jagr.
Obwohl ihm der deutsche Verteidiger Stefan Schauer in der Vorrunde mit einem Stockschlag den linken kleinen Finger gebrochen hatte, spielte Jagr weiter. »Das habe ich als etwas verstanden, das ich geben musste, um etwas zu bekommen. Ich konnte nicht schießen, deswegen habe ich meine Mitspieler gesucht«, erklärte der teuerste Spieler der Welt, der beim 3:2 im Halbfinale über Schweden nach dem Schlagschuss eines Mitspielers k.o. gegangen war.
»Hätte er aufhören müssen, hätten wir die Köpfe vielleicht so hängen lassen, dass wir jetzt nicht mit den Goldmedaillen hier stehen würden«, meinte Teamkollege Vaclav Varada. Vaclav Prospal (5.) und Martin Rucinsky (44.) profitierten von zwei genauen Jagr-Pässen, Josef Vasicek (60.) traf ins leere Tor der Kanadier, die zwölf Sekunden vor der Schluss-Sirene noch eine Schlägerei anzettelten.
Derweil feierten in der Prager Altstadt 30 000 Menschen vor einer Großleinwand. In der Innenstadt brach unter Hupkonzerten zu mitternächtlicher Stunde der Verkehr zusammen, das Bier floss in Strömen. Obwohl der Pfingstmontag nicht arbeitsfrei war, wollten viele Tschechen ihre Lieblinge am Nachmittag nach der Rückkehr in der »goldenen Stadt« begeistert empfangen.
Trainer Vladimir Ruzicka schüttelte derweil immer wieder ungläubig den Kopf und erinnerte an Vorgänger Ivan Hlinka, der im Vorjahr bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. An Hlinka erinnerte ein Foto in der Kabine. »Wenn Ivan aus dem Himmel zuschaut, freut er sich bestimmt«, sagte Ruzicka, der wie einst als Spieler nun als Trainer bei seiner ersten WM gleich den Titel gewann. Allerdings will Ruzicka künftig wieder nur noch seinen Club Slavia Prag betreuen.
Schlüssel zum Erfolg war die Defensive mit dem als besten Schlussmann ausgezeichneten Tomas Vokoun. Kanadas Offensive mit Torschützen-König Rick Nash und dem als wertvollsten Spieler gekürten Joe Thornton fand nach zuvor 35 Toren in acht Spielen dagegen kein Mittel. Kanadas Keeper Martin Brodeur, der im Halbfinale nach der 4:0-Führung den 4:3-Sieg gegen Russland gerettet hatte, zeigte sich von den Tschechen überrascht: »Sie sind eigentlich eine aufregende Offensiv-Mannschaft, aber sie haben sich einfach hinten reingestellt.«
Die einst so erfolgsverwöhnten Russen waren dagegen mit Platz drei durch das 6:3 über Schweden sehr zufrieden.

Artikel vom 17.05.2005