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Das Wort zu Pfingsten

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Laut Umfragen sollen nur noch 80 Prozent der Deutschen wissen, was am Pfingstfest eigentlich gefeiert wird - ein religiöser Bildungsnotstand, der wohl auch die sogenannten Gebildeten längst erfaßt hat. Zu Pfingsten geht es um die Ausgießung des Heiligen Geistes. Als dessen unmittelbare Folge schlug die Geburtsstunde der christlichen Kirche. Diese, heißt das, verdankt sich allein dem Willen Gottes und nicht etwa menschlichen Entscheidungen. Nachzulesen ist dies alles im 2. Kapitel der Apostelgeschichte des Lukas.
Die Unkenntnis darüber wird manchmal daraus abgeleitet, daß das Pfingstthema angeblich so abstrakt sei. Wirklich? Eher passiert da zu viel, zu viel Ungewohntes. Das eigentliche Problem: Wir können es nicht richtig einordnen, weil wir mit ekstatischen Erlebnissen kaum Erfahrung haben und dagegen vielleicht sogar immun sind. Sie sind uns eher unheimlich, erscheinen uns chaotisch, anarchistisch. Aber es ist wohl immer so, wenn Gott etwas Neues bewirkt: Dabei bekommt Altvertrautes einen Riß, Gewohntes wird über den Haufen geworfen, und wir hinken mit unserer Vorstellungskraft weit hinterher.
Was da am Pfingsttag in Bewegung gerät, ist beispiellos. Die Natur mit Sturm und Feuerflammen scheint verrückt zu spielen; ein Stimmengewirr entsteht, aus dem Ausländer Wortfetzen in ihrer Muttersprache aufschnappen. Wann hätte es das sonst gegeben? Doch diese Frage ist nicht erst die Unsrige.
Die bis dahin verängstigten und kleinlauten Jesusleute geraten plötzlich buchstäblich aus dem Häuschen, andere ergreift ratlose Panik. Keinen läßt kalt, was sie da miterleben. Denn auch eine dritte Gruppe, die der Spötter, steht nur scheinbar reserviert und gelangweilt am Rande. In Wirklichkeit schirmen sie sich mit ihren losen Sprüchen - die Jünger Jesu haben wohl einen über den Durst getrunken - doch nur dagegen ab, daß auch ihnen etwas unter die Haut gehen und sie in ihrem tiefsten Herzen berühren könnte.
Als die Anhänger Jesu an jenem Morgen zusammenkommen, steht Pfingsten noch nicht in ihrem Kalender. Christus hatte ihnen zwar gesagt, er werde sie nicht zurücklassen als Menschen, welche die Welt nicht mehr verstehen und die Orientierung verloren haben, sondern sie mit einer starken geistigen Kraft erfüllen und selbst in dieser Kraft gegenwärtig sein.
Doch vielleicht hatten sie das nur halb verstanden oder nicht recht geglaubt, zumindest offengelassen, ob es überhaupt und, wenn ja, wie es denn eintreten könnte. Doch als keiner damit rechnet, bricht das Wunder des Heiligen Geistes mit Sturm und Feuer über sie herein.
So ist er eben: unkalkulierbar, frei von unseren Regeln, frei wie ein Vogel, wie Wind und Gedanken. Er weht, wann er will, aber - das ist die Kehrseite - er geht auch, wann er will. Manche Epochen sind vom Geist ergriffen, geschüttelt, durchglüht; in anderen ist sein zartes Lüftlein kaum zu spüren. Letzteres betrifft das alte Europa der Gegenwart, aber beileibe nicht die ganze Welt.
Doch gerade in dürftiger und geistesarmer Zeit gibt es keine zukunftsweisendere Verheißung als die der Pfingstgeschichte. Was Menschen persönlich von der Geschichte Gottes miterleben, ist ja nicht mehr als eine Momentaufnahme. Die Zukunft kennen sie nicht. Der Heilige Geist aber war zu allen Zeiten für Überraschungen gut. Das sollten Christen ernster nehmen als Statistiken und Hochrechnungen.
Die Pfingstgeschichte spricht nämlich nicht nur von der Vergangenheit. Sie besagt auch, daß Gott mit seinem Volk immer wieder neu anfängt. Gott aber kann nur leere Hände füllen. Das ist die Lektion, welche die Christenheit in Europa als erstes wieder lernen muß, um mit neuem Geist erfüllt zu werden.

Artikel vom 14.05.2005