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Leitartikel
Landtagswahl in NRW

Zeter und Mordio nutzen nichts


Von Reinhard Brockmann
Rot-Grün beschimpft Jürgen Rüttgers als »Weichei«. Beim TV-Duell mit Noch-Landesvater Peer Steinbrück kam der »ehemalige Zukunftsminister« (Originalton Gabi Behler, früher) letzte Woche aus der Defensive nicht heraus. Immer noch bleibt der CDU-Herausforderer im direkten Sympathievergleich hinter dem Konkurrenten.
Der Vorsprung von 11 Punkten »müsste« reichen, gibt sich Rüttgers übervorsichtig - als wenn er die ihm zugedachte Rolle des Zauderers bestätigen wollte.
Dabei ist trotz oder gerade wegen des Zeter- und Mordio-Geschreis das Ende der 39-jährigen SPD-Ära in NRW aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr aufzuhalten. Der verzweifelte Versuch von Franz Müntefering, mit Kapitalistenhatz eine neue rote Front aufzumachen, endete kläglich unter den Eierwürfen der umworbenen Linken und noch weiter sinkenden Umfragewerten. Gestern verlor die SPD wiederum einen Punkt, obwohl das missratene TV-Duell nach allen Regeln der politischen Klipp-Schule der SPD einen Zuwachs hätte bescheren müssen.
Schon spekuliert die Bild-Zeitung über Steinbrücks weitere Verwendung in Berlin nach der angeblich auch in der SPD-Bundesführung verloren gegebenen NRW-Wahl. »Focus« schreibt von »zehn verlorenen Jahren« unter Rot-Grün an Rhein und Ruhr.
In der Schuldebatte fällt Ex-Schulministerin Gabi Behler ihren alten Genossen in den Rücken, wiederkäuen alle Beteiligten sattsam bekannte Argumente und kann niemand wegen leichtfertig verspielter Steuergelder eine richtige Antwort auf PISA geben.
Diese Wahl wird ganz offenbar vom Niedergang der deutschen Wirtschaft bestimmt - nicht weil die FDP »Vorfahrt für Arbeit« plakatiert und die Union gebetsmühlenhaft die Formel stanzt: »Sozial ist, was Arbeit schafft«.
Nein, die Menschen erleben wie ganz Deutschland in Europa und auch gobal verliert, wie Wachstum wegbricht, Löhne real sinken und weniger im eigenen Säckel bleibt. Peer Steinbrück hat darauf womöglich noch den geringsten Einfluss. Aber die Menschen stimmen in den Umfragen nicht nach Zuständigkeiten ab, sondern nach dem Grundgefühl, das sie seit Jahren beim Blick auf Rot-Grün beschleicht. Müntefering hat ihnen offenbar den letzten Beweis dafür geliefert, dass sie, gelinde gesagt, erneut veräppelt werden könnten.
Das macht die Sache für die Sieger vom 22. Mai nicht leichter. Mit einer Million Arbeitsloser und 110 Milliarden Schulden ist in NRW kaum noch Staat zu machen. Auch beim Bürokratieabbau, der Allzweckwaffe für Wirtschaftswachstum, stehen zunächst einmal die Entlassungen der leibhaftig vorhandenen vielen tausend Bremser auf der Tagesordnung. Personalrechtlich geht das gar nicht. Auch haben bislang Besitzstandswahrer in diesem Land ihren Gegnern allenfalls Pyrrhussiege erlaubt.
Rüttgers verspricht nur Schweiß und Tränen, schnelle Erfolge für Angela Merkel 2006 in Berlin kann er nicht schaffen.

Artikel vom 12.05.2005