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»Darüber ist ja nie ein
Wort gesagt worden«

Die ersten »Stolpersteine« für die Erinnerung verlegt

Von Burgit Hörttrich und
Bernhard Pierel (Fotos)
Bielefeld (WB). Gisela Katczmarek, geb. Griefingholt, hat ihren Vater 1944 zum letzten Mal gesehen: »Im Gefängnis - er wurde einen Flur hinunter geführt.« Konrad Griefingholt war verurteilt worden, weil er einen »Feindsender gehört« hatte; er verhungerte im Zuchthaus Hameln. Gestern legte der Künstler Gunther Demnig (57) den ersten »Stolperstein« in Bielefeld da, wo Konrad Griefingholt mit seiner Familie gewohnt hat - an der ehemaligen Koblenzer Straße 3, heute der Platz vor dem linken Flügel der Kunsthalle.

Gisela Katczmarek und ihre jüngere Schwester Elvira Ottemeier waren ergriffen, dass endlich doch des Schicksals ihres Vaters gedacht worden sei. Gisela Katczmarek: »Darüber ist ja nie ein Wort verloren worden.«
Sie kann sich noch erinnern, als wäre es gestern gewesen: Die Gestapo habe ihren Vater abgeholt, nachdem er wahrscheinlich von einem früheren Mitarbeiter denunziert worden sei; Konrad Griefingholt, der 54 Jahre alt war, als er sterben musste, war Prokurist einer Brauerei und Schriftführer der Zentrum-Partei. Einmal habe ihre Mutter ihn noch im Gefängnis besuchen dürfen, sie sei unerlaubterweise mitgegangen, erzählt Gisela Katczmarek: »Wir konnten kein Wort miteinander sprechen, hatten nur kurz Blickkontakt.« Dann sei ihr Vater in das Zuchthaus Hameln verlegt worden: »Drei Wochen später kam ein Telegramm mit der Todesnachricht.«
Neun Steine an sechs Stellen wurden gestern von Gunther Demnig verlegt - für insgesamt 50 »Stolpersteine« gibt es in Bielefeld bereits Paten. So wünschte sich Christine Biermann zu ihrem 50. Geburtstag Geld für »Stolpersteine«, bekam eine Summe zusammen, die für 20 dieser Steine reicht. In Bielefeld koordiniert wird die Aktion von Eva Hartog, die erstmals in Köln über die 10 mal 10 mal 10 Zentimeter großen Betonsteine mit den Messingplatten buchstäblich stolperte und dann für die Idee in Bielefeld große Unterstützung unter anderem des Stadtrates fand. Ein »Stolperstein« kostet 95 Euro. Die Initiatoren wollen den Künstler Gunther Demnig, der bereits deutschlandweit mehr als 5000 solcher Steine verlegt hat, für die Idee gewinnen, dass auch Schülergruppen jeweils einen Stein verlegen und betreuen könnten. Denn Demnig selbst hat erst im Frühjahr 2006 wieder Zeit, weitere »Stolpersteine« ins Pflaster einzulassen. Sein Ziel: ein europaweites Kunstwerk zu schaffen, das an die Opfer des NS-Regimes erinnert.
Eva Hartog betont: »Jeder einzelne Stein erzählt eine Geschichte, schildert ein Schicksal.«
Verlegt wurden gestern weitere Steine vor den Häusern, in denen Menschen lebten, die während der Zeit der Nazi-Herrschaft »verschwunden« sind: politisch Verfolgte, Juden, Zeugen Jehovas, Roma und Sinti, Homosexuelle. . . Es genügte schon, BBC zu hören, um das Leben verwirkt zu haben - wie bei Konrad Griefingholt.
Gleich gegenüber, an der Artur-Ladebeck-Straße 6, wurden gleich drei Steine eingelassen. Sie erinnern an den Orthopäden Dr. Bernhard Mosberg, der 1944 in Auschwitz starb, seine Frau Rosalie Mosberg, die in Sobibor ermordet wurde, ihre Tochter Dr. Gertrud Mosberg, die im KZ Ravensbrück ums Leben gebracht wurde.
Weitere »Stolpersteine« angebracht wurden gestern an der Detmolder Straße 4 für Josefa Metz, die in Theresienstadt starb, am Haller Weg 73 für Frieda Laarmann, die in Auschwitz ermordet wurde, am Sparrenberg 8 für Dora und Richard Senkel; sie starb in Auschwitz, er im KZ Sachsenhausen. Ein Stein an der Bossestraße 3 erinnert an Erich Wehmhöner, der um KZ Neuengamme umkam.

Artikel vom 11.05.2005