10.05.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Schröder am Ende einer historischen Wanderung

Treffen mit Putin und Kriegsteilnehmern beider Seiten

Von Joachim Schucht
Moskau (dpa). Unter hohen Birken liegen von Eisengittern eingezäunte Gräber, Plastikblumen, frische Gestecke, orthodoxe Kreuze - ein scheinbar normaler russischer Friedhof.
Am Grab des jüngsten deutschen Gefallenen bleibt der Kanzler stehen und ehrt den 18-jährigen Siegfried Pfaifer, der in Moskau begraben ist.

Der Blick fällt auf eine Rasenfläche mit grauen Granitkreuzen. Darauf steuert der Kanzler zu. Von der pompösen Siegesfeier am Roten Platz ist Gerhard Schröder zusammen mit seiner Frau auf den Kriegsgefallenen-Friedhof Ljublino im Südosten Moskaus gekommen. 495 Deutsche sowie Ungarn, Österreicher, Japaner und Angehörige aus weiteren Nationen liegen hier.
Kurzes Ordnen der Kranzschleife und stilles Gedenken an der von zwei Bundeswehrsoldaten flankierten Gedenkstätte sieht das Protokoll vor. Ein junger russischer Trompeter spielt das Lied: »Ich hatte einen Kameraden«.
Danach der Gang vorbei an den kleinen Kreuzen, auf denen die Namen und kurze Lebensdaten eingraviert sind. Vor einem Stein bleibt Schröder stehen. Es ist das Grab von Siegfried Pfaifer, gestorben mit 18, der jüngste, der dort beerdigten Soldaten.
Immer wieder ist Schröder in den vergangenen zwölf Monaten mit der dunklen Seite der deutschen Geschichte konfrontiert worden. Am Anfang stand im Juni die Teilnahme an den Feiern zur Landung der Alliierten in der Normandie. Danach folgten der 60. Jahrestag des 20. Juli, des Warschauer Aufstands und der erste Besuch am Grab seines gefallenen Vaters in dem siebenbürgischen Dorf Ceanu Mare.
Zu den sieben Teilnehmern, die mit dem Kanzler kamen, gehörte auch Ewald von Kleist, der heute 82-Jährige ist der letzte Überlebende der Verschwörer vom 20. Juli 1944. Dabei war auch der frühere Luftwaffenhelfer Lothar Scholz, der fast acht Jahre lang in den Kohleschächten von Workuta am Eismeer schuften musste. Putin. »Die moralische Versöhnung geht von den Völkern aus.«
Aber noch eignen sich nicht alle Jahrestage für die Demonstration von Normalität zwischen Russen und Deutschen über den Gräbern. Der für Anfang Juli geplante gemeinsame Auftritt von Kanzler und Präsident zur 700-Jahr-Feier im früheren Königsberg kommt voraussichtlich nicht zu Stande. Den Russen ist die Einladung in ihre Ostsee-Enklave anscheinend noch zu heikel.

Artikel vom 10.05.2005