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Ritter mit traurigem Gesicht
Don Quijote reitet seit 400 Jahren gegen »Unbill jeglicher Art« und kämpft gegen Windmühlenflügel
»An einem Orte der Mancha, an dessen Namen ich mich nicht erinnern will...«. So beginnt eines der berühmtesten Werke der Weltliteratur. »Don Quijote« gilt mit mehr als 2000 Auflagen in 70 Sprachen als das meist verbreitete Buch der Welt nach der Bibel.
Vor genau 400 Jahren hat Miguel de Cervantes die Geschichte vom fahrenden Ritter und seinem Knappen Sancho Pansa veröffentlicht. Dabei sind es eigentlich zwei Bücher, mit denen Cervantes - wenn auch unbewusst - Literaturgeschichte schrieb. Der erste Band der Geschichte von Don Quijote (in deutschen Ausgaben oft auch in der Originalschreibweise Don Quixote oder in französischer Orthografie Don Quichotte) erschien im Herbst 1605.
Er entstand in der Blütezeit des »Siglo de Oro«, dem Goldenen Zeitalter der spanischen Kultur, das von den Malern Velázquez und El Greco ebenso geprägt war wie von den Dramatikern Lope de Vega und Calderón de la Barca. Miguel de Cervantes hat jedoch mit Don Quijote den ersten modernen Roman der Weltliteratur geschaffen. Er siedelte seine Geschichte im zeitgenössischen Spanien an - und nicht, wie es bis dahin üblich war, in einem utopisch-idyllischem Ambiente. Cervantes lieferte stattdessen eine bissige Parodie auf die damals so beliebten Ritter- und Heldenromane. Und dabei entstand zugleich eine Karikatur der zeitgenössischen Gesellschaft.
Heute noch aktuell ist die Schilderung von Wirklichkeit und Wahrnehmung, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht, die eigentlich schnell erzählt ist: Ein verarmter Landadliger namens Alonso Quijano verschlingt einen Ritterroman nach dem anderen, bis er durchdreht und sich entschließt, selbst als fahrender Ritter loszuziehen und »jegliche Art von Unbill wiedergutzumachen«. Also zimmert er sich eine Rüstung zusammen, erklärt seinen lahmen Gaul zum Schlachtross Rosinante, den Bauern Sancho Pansa zum Knappen und die Dorfpomeranze Aldonza Lorenzo zur edlen Señorita Dulcinea von Toboso, deren Gunst es zu gewinnen gilt. Allerdings bezieht der »Ritter mit dem traurigen Gesicht« (und nicht der traurigen Gestalt, diese Bezeichnung beruht auf einem Übersetzungsfehler) in seinen Abenteuern meist reichlich Prügel. Am berühmtesten ist sein aussichtsloser Kampf gegen Windmühlen, die er fälschlicherweise für Riesen hält.
Im zweiten Teil des Romans, der 1615 erschien, gelang Cervantes ein weiterer Kunstgriff: Er schuf ein »Buch im Buch«. Denn während er selbst noch am zweiten Teil arbeitete, veröffentlichte sein Landsmann Alonso Fernández de Avellaneda eine eigene Fortsetzung des ersten Teils. Cervantes distanziert sich am Anfang und Ende seines Buches deutlich von diesem Werk. Er lässt es aber zugleich in seine Geschichte mit einfließen, in dem nämlich Don Quijote und Sancho Pansa erfahren, dass sie zu Helden in einem Roman geworden sind. Sie beschließen, abermals loszuziehen, um eine Fortsetzung des Werkes zu ermöglichen - und Cervantes verwischt die Grenzen zwischen Literatur und Realität.
Nicht umsonst wird Cervantes in einem Atemzug genannt mit Shakespeare, Goethe oder Dante. Dabei ist über ihn selbst nicht viel bekannt - nicht einmal das exakte Geburtsdatum. »Vielleicht am 29. September 1547«, heißt es in Nachschlagewerken. Gestorben ist er am 23. April 1616. Mit 20 Jahren zog er nach Rom, aber niemand weiß, warum. Anschließend ging er nach Lepanto, nahm dort an der Schlacht gegen die Türken teil (1571). Dabei wurde seine linke Hand verstümmelt. Den Quijote erfand Cervantes im Gefängnis von Sevilla. Dort landete er, nachdem er sich als Schuldeneintreiber versucht hatte.
Sein Romanheld ist unsterblich - nicht zuletzt auch, weil »das traurigste Buch, das je geschrieben wurde« (Dostojewski) seit 400 Jahren Künstler inspiriert. Quijote ist wohl die einzige literarische Figur, die man sofort als Zeichnung erkennt. Bewiesen wird das unter anderem in einer Ausstellung »Don Quijote in der Kunst« des Museums im Schloss Bad Pyrmont. Noch bis zum 29. Mai sind dort Gemälde, Grafiken, Radierungen und Skulpturen (unter anderem von Dali und Picasso) zu sehen.
Der 400. Geburtstag von Cervantes' Meisterwerk wird in Spanien übrigens gebührend gefeiert. 30 Millionen Euro lässt sich der Staat die Veranstaltungen zum Jubiläum kosten, Dutzende Kongresse, Ausstellungen, Bühnenstücke und Bucherscheinungen gibt es im »Quijote-Jahr«.
Sie werden ein weiteres Mal beweisen, was Sancho Pansa - gar nicht dumm, sondern sehr weitsichtig - am Ende seiner Abenteuer mit Don Quijote bereits prophezeit hat: »Ich will wetten ... es brauchen nicht viele Tage ins Land zu gehen, so wird es keinen Krug, keine Schenke, kein Wirtshaus und keine Barbierbude geben, wo man nicht die Geschichte unsrer Taten gemalt hätte.« Corinna Strate

Artikel vom 21.05.2005