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Eine Reise in die Illegalität
Lamborghini Murciélago Roadster - eine deutsch-italienische PS-Droge auf vier Rädern
Jeder Mensch ist süchtig. Mancher nach Familie oder Fußball oder geistigem Ge- tränk oder, wenn's ganz bitter kommt, nach umhäkelten Toilettenpapierrollen im Au- tofond. Meine Sucht ist Ge- schwindigkeit. Und ich wer- de bestens mit »Stoff« versorgt. Kurt Molzer sei Dank.
Mein guter Kumpel testet Autos für ein Männermagazin (GQ). Und ab und zu darf der befreundete Piefke mit auf eine Reise in die Illegalität. Diesmal nach »bella italia«, wo sie »bellissima macchinas« bauen.
Den besten Stoff gibt es in der Nähe von Modena, jenem magischen Ort, wo der Autogott seine schönsten Wunder vollbringt. Maserati, Ferrari und Lamborghini bauen in dieser norditalienischen Stadt und um sie herum ihre süchtig machenden PS-Wunder. Die kleinste, aber erlesenste Schmiede steht in Sant'Agata Bolognese, in der Via Modena 12.
Die »böse Sau« - so nennt man solche Gefährte auf Österreichisch -, die wir drei Tage bewegen werden, ist ein Lamborghini Murciélago Roadster. Wer das »Lambordschini« ausspricht, dem müsste die Fahrerlaubnis entzogen werden.
Kurze Einweisung für die Technik-Freaks: V12-Motor Mitte längs, vier Ventile pro Zylinder, 6192 ccm Hubraum, 426 kw/580 PS bei 7500 U/min, maximales Drehmoment 650 Nm bei 5400 U/min, Allrad, manuelles Sechsganggetriebe, von 0 auf 100 km/h in 3,8 Sekunden, Höchstgeschwindigkeit 320 km/h, Normverbrauch 21,5 l/100 km Super Plus, Leergewicht 1665 kg, Preis 246 675 Euro.
Auch wir bekommen eine Einweisung. Der Chefmechaniker führt uns den Ab- und Aufbau des Faltdachs vor. Verständiges Nicken, kapiert haben wir aber nichts. Da muss Audi, Neu-Besitzer des Bullen-Stalls, noch mal ran. Kurze Belehrung der Pressedame: Bitte nur in Norditalien fahren. Also, nix wird's mit Nea- pel. Sorry, Mafia, kein Materialnachschub zum Verschiffen in den Nahen Osten.
Zuerst darf Kurt ran. Und der demonstriert mir gleich, dass er noch immer ein Automobil bewegen kann. Bei der Beschleunigung auf der Landstraße habe ich das Gefühl, mir tritt ein Stier (Logo von »Lambo«) ins Kreuz, beim Bremsen das gleiche Gefühl in der Magengrube. Mit einem Verweis auf die Zunahme meines Brechreizes lotse ich den Ex-Rennfahrer auf die Autobahn.
Zeit zum Erholen und zum Einleben im gelben Gefährt. Zehn Zentimeter hinter Fahrer und Beifahrer brüllt der Motor, die ledernen Sitze lassen null Bewegungsfreiheit zu. Technischer Schnickschnack Fehlanzeige. Keine Schaltwippen. Hier wird klassisch im Getriebe gerührt. Die Heizung verbirgt sich hinter einer Klappe mit Lamborghini-Schriftzug. Rückwärts einparken geht nur nach Gefühl oder mit Einweisung, denn die martialischen Luftauslässe lassen keinen Blick nach hinten zu. Auf der »Autostrada« ist das allerdings kein Problem: Von hinten droht wirklich keine Gefahr. Bei entspannten 230 km/h.
Die erste fahrerische Herausforderung steht in Genua an. Den Murciélago auf einem öffentlichem Parkplatz abstellen. Hallo, liebe Italiener: Baut nicht solche Autos und dann diese Bodenwellen.
Nach einem leichten Risotto geht es weiter nach Sanremo. Entlang der Mittelmeerküste durch Ligurien. Tunnel und Kurven satt. Wir preisen den Allrad-Erfinder, dem wir es verdanken, dass das knackige Hinterteil (an wen oder was mag Chefdesigner Luc Donckerwolke an seinem Zeichentisch wohl nur gedacht haben?) keiner restaurierenden Metall-OP unterzogen werden muss.
Nach vier Stunden reicht's. Sanremo, 1950er-Jahre-Char- me im Hotel Miramare Continental Palace, ein Ausflug ins Casino, Schlafstättentauglichkeit des »Lambo« getestet.
Als einzige Spielverderber versuchen sich am zweiten Tag zwei Polizisten. Sie scheinen von Benito Mussolini nicht nur eingekleidet worden zu sein. Es gibt Zweifel an der Legalität des Autokennzeichens. Dabei ist dies das einzig Gesetzestreue an unserem Ausritt. Nachdem die beiden Carabinieri ihren Minderwertigkeitskomplex ausgelebt und wir damit gedroht haben, den Wagen einfach stehen zu lassen - »Sie können das ja mit Lamborghini klären« - dürfen wir weiter. Zeit wird's. Rauschbefriedigung erlaubt keine Pausen. Benötigt aber Sprit. Schließlich säuft das gelbe Monster bei schneller Fahrweise 30 Liter auf 100 Kilometer.
Ein Kontrollblick aufwärts. Alles blau. Bastelstunde am »Lambo«-Himmel nach der Betankung. Bitte ab jetzt keinen Regen, sonst nehmen wir im Cockpit ein Vollbad.
Ich habe versprochen, vernünftig zu sein. Der Vorsatz hält genau fünf Minuten. Denn der Motorensound in »meinem« er- sten Tunnel jagt mir mehr lustvolle Schauer über den Rücken als die Bachtrompeten-Passagen im 2. Brandenburgischen Konzert von Meister Johann Sebastian. Die Hatz ist eröffnet. 200, 250, 280 - das alles und noch viel mehr bin ich gefahren, als wenn ich der König von Italien wär'. Schnell nach Rom, noch schneller zurück nach Sant'Agata Bolognese, denn die nächsten Tempo-Süchtigen warten schon auf das abhängig machende Power-Paket.
Meine um das Lenkrad gekrallten Hände lassen sich dort nur mit dem Versprechen lösen, dass 2005 noch mindestens eine weitere Reise in den Irrsinn ansteht, eine Ausfahrt mit einem in Le Mans bewegten, mittlerweile für die Straße zugelassenen Porsche. Topspeed jenseits der 400.
Und wenn es mir bis dahin zu lange dauert, werde ich den Bielefelder Herrn mit dem Porsche Carrera GT, der diese »böse Sau« mit kastrierten 80 über den Ostwestfalendamm bewegt hat, fragen, ob ich nicht mal bei ihm ein bisschen Stoff bekomme. Oliver Kreth

Artikel vom 04.06.2005