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»Kinder sind doch ein Lebenselixier«

Unverständnis und Ärger über Gerichtsurteil zur Mietminderung durch Kinderlärm

Bielefeld (hu). Kinderlärm als Grund zur Mietminderung - dieses Urteil des Amtsgerichts Frankfurt (das WESTFALEN-BLATT berichtete am Donnerstag) stößt in Bielefeld bei Baugesellschaften und Vermieterverein, Eltern und Experten auf völliges Unverständnis. In dem Urteil hatte ein Mieter Recht bekommen, der seine Miete um fünf Prozent gesenkt hatte, weil er sich durch den Lärm spielender Kinder gestört fühlte.

»Ich finde dieses Ergebnis erschreckend. Es ist ein Symptom dafür, dass viele nichts mehr mit Kindern zu tun haben wollen«, kommentierte der Bielefelder Jugendforscher Prof. Dr. Klaus Hurrelmann das Urteil. Kinder seien doch »ein Lebenselixier, das auch Spaß in das Leben älterer Menschen« bringe. Er kritisierte, dass so nur auf rechtlichem Wege mit Kindern umgegangen wird, anstatt sich mit ihnen zu beschäftigen und ihnen zum Beispiel auch Rücksichtnahme beizubringen.
Für Norbert Müller, Geschäftsführer der Bielefelder Gemeinnützigen Wohnungsgesellschaft (BGW), ist es »ein fürchterliches Urteil«. »Wir wundern uns, dass immer weniger Kinder geboren werden, und dann trifft ein Gericht eine solche Entscheidung«, ärgert sich Müller. Von Seiten der BGW setze man, sollte es zu Konflikten wegen Lärmbelästigungen kommen, auf gegenseitiges Verständnis. Norbert Müller: »Bei einem Rundgang durch eines unserer Quartiere habe ich kürzlich ein Schild gesehen auf dem ÝBall spielen verbotenÜ stand. Das wurde sofort entfernt.« Die Außenanlagen der Wohnviertel seien auch zum Spielen da. Kinder müssten durch ihre Eltern lernen, dass nicht alles erlaubt ist, »und Älteren müssen wir klar machen, dass Kinder unserer Zukunft sind«.
Für Michael Seibt, Sprecher der Baugenossenschaft Freie Scholle, ist es »ein unglaubliches Urteil, das jeglichen Realitäten widerspricht«. »Unser Konzept des lebensgerechten Wohnens bedeutet, dass innerhalb einer Siedlung alle Altersgruppen zusammenleben«, erklärt Seibt. Und er verweist auf eine Marktanalyse, die die Freie Scholle bei mehr als 1000 Haushalten in Bielefeld in Auftrag gegeben hat. »Darin sagen 76 Prozent der Befragten über 50 Jahren, dass sie gemeinsam mit Jüngeren und jungen Familien zusammen leben wollen.«
»Als Mutter von vier Kindern kann ich über einen solchen Blödsinn nur lachen«, fällt die Reaktion von Hatice Ali auf das Urteil deutlich aus. Seit 14 Jahren engagiert sie sich im Verein »Spielen mit Kindern«, der an der Teichstraße ein Spielhaus betreibt. Es sei ohnehin schwer, mit Kindern eine angemessene Wohnung zu finden; ein solcher Rechtsspruch verschärfe die Situation zusätzlich. Hatice Ali: »Wenn sich ältere Menschen ab und zu über die Kinder beschweren, dann kann ich dafür noch Verständnis haben. Dass ein Gericht so urteilt, enttäuscht mich sehr.«
Auch rein rechtlich stehe das Frankfurter Urteil auf wackeligen Füßen, ist Jürgen Upmeyer, Geschäftsführer des Vereins »Haus und Grund« in Ostwestfalen-Lippe, überzeugt. »Eine Mietminderung kann es nur bei einem Mangel geben. Geräusche von spielenden Kindern sind aber ein unmittelbarer Bestandteil des Wohnens«, erläutert Upmeyer.

Artikel vom 07.05.2005