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Kann man Einspruch dagegen einlegen?«, erkundigte sich der Kapitän beflissen.Der Baron schüttelte kurz den ergrauten Kopf. »Ich habe deshalb entschieden, dass Herr Hansen fahren wird. Er kann jetzt zeigen, ob er zu mehr als deutschfeindlichem Gerede taugt.«
Hansen zuckte zusammen und sah in die Runde. Das spöttische Grinsen der Kommissionsmitglieder bestätigte ihm, was ihm spontan durch den Kopf schoss. Baron von Holsten schickte ihn in der Hoffnung zu den Halligen, dass er scheitern würde. Vielleicht sogar in genau der Erwartung.
Damit war die Versammlung beendet.
»Mach kein solches Gesicht«, raunte ihm nach dem Ende der Besprechung Friedrich Ross auf dem Flur zu. »Das schaffst du.«
Immerhin einer, der an ihn glaubte. Hansen lächelte Ross flüchtig zu. Die Situation war so verfahren, dass es diplomatischen Geschickes bedurfte, um sich bei den Halligbewohnern Vertrauen zu erwerben. Er wusste nicht, ob er genug davon besaß.
Aber so eilig die Übereinkunft mit den Halligleuten auch sein mochte, Gerda war noch wichtiger. Hansen drängte es, mit Gerdas Vater zu sprechen, bevor er sich für einen unbestimmten Zeitraum auf die Hallig begab. Vielleicht wusste der inzwischen etwas über ihren Verbleib.
Wie üblich fand er seinen Vorgesetzten an seinem Schreibtisch vor, in der einen Hand ein Butterbrot, die andere in den Papieren wühlend, auf hektischer Suche nach irgendetwas Wichtigem.
Cornelius Petersen blickte nicht einmal auf. »Na, Hansen?«, fragte er lediglich.
»Es geht immerhin vorwärts«, meinte Hansen. »Ich bin ausgeguckt worden als derjenige, der mit den Halligleuten reden soll. Aber vorher möchte ich um zwei Tage Urlaub einkommen.«
»Vater oder Mutter gestorben?«
»Nein, aber trotzdem sehr wichtig.«
»Baron von Holsten drängt auf Ergebnisse, Hansen.«
»Nicht auf Ergebnisse, auf Eile«, entschlüpfte es Hansen.
Oberbaudirektor Petersen begann bedächtig seinen ergrauten Kopf zu schütteln, was alles Mögliche zwischen Tadel und Ablehnung des Gesuches bedeuten konnte.
»Anderthalb Tage«, warf Hansen hastig ein. Hinter seinem Rücken verkrampften sich seine Hände von selbst zu Fäusten. Dabei war nicht Cornelius Petersen sein Gegner.
»Ich bin kein Unmensch. Also gut: ein Tag«, gestattete der Oberbaudirektor mit einem Seufzer.

Kapitel 2
T
ondern, wo die Eltern von Gerda lebten, lag nicht auf der direkten Route von Husum zur Hallig. Eine Schiffsverbindung zu den Halligen gab es sowieso nicht. Von Tondern aus würde Hansen jedoch mit Eisenbahn und Dampfer nach Wyk auf Föhr gelangen, wohin die Halligleute regelmäßig segelten, um Butter und Eier zu verkaufen. Bei Bedarf nahmen sie auch Gäste mit zurück. Hansen packte deshalb ein, was er für schätzungsweise zehn Tage benötigte. Einschließlich eines Strohhutes, den er seiner Meinung nach nicht benötigte.
Dieses alberne Kleidungsstück hatte er Petrine Godbersen zu verdanken.
»Nehmen Sie Ihren Strohhut mit, Herr Inspektor«, hatte sie ihm geraten.
»Auf die Hallig?«
»Man muss auf alles vorbereitet sein.« Frau Godbersens frommer Blick zum Himmel hatte alle Einwände überflüssig gemacht.
Hansen war sich trotzdem sicher, dass er diesem Ding nie Einlass in seinen Sarg gewähren würde. Überhaupt: was für eine Idee! Eine Hallig war doch kein Kriegsschauplatz!
Die Marschenbahn nach Norden spuckte Sönke Hansen dreieinhalb Stunden später in Tondern aus. Ein Pferdefuhrwerk, das nach Hojer bestimmt war, nahm ihn längs der alten Wallanlage, die sich um den alten Stadtkern hinzog, mit, so dass er überraschend schnell beim Haus seiner künftigen Schwiegereltern anlangte.
Verdutzt starrte er auf den rotweißen Danebrog, der an der Fahnenstange flatterte, während er an die Tür klopfte, hinter der es hoch herzugehen schien.
Lars Rasmussen öffnete selber, und in diesem Augenblick fiel Hansen ein, dass Gerdas Vater an diesem Tag ja Geburtstag hatte. »Schön, dass du mich nicht vergessen hast«, sagte Lars aufgeräumt und keineswegs erstaunt, ihn zu sehen. »Komm rein, Sönke.«
»Gern. Aber ich muss gestehen, dass ich gar nicht wegen deines Geburtstages gekommen bin«, bekannte Hansen verlegen. »Es ist wegen Gerda.«
»Du bist wie immer willkommen. Und rechtzeitig zum Kaffee da.«
An einem langen Tisch, der mit Torten und Kuchen, mit schinken- und käsebelegten Brötchen, Kaffeetassen und Schnapsgläsern beladen war, saßen eine Menge Gäste. Für einen Augenblick gab es verwundertes Schweigen, als sie begriffen, dass der Neuankömmling im Hause des Journalisten Rasmussen, einem der führenden Köpfe der dänischen Bewegung von Schleswig, ausgerechnet ein Deutscher war.
»Komm, Sönke, setz dich zu mir. Hier ist Platz«, rief einer der Männer ein wenig schnapsselig und rückte beiseite, um einen freien Stuhl zwischen sich und den benachbarten zu zwängen.
»Versteht er uns überhaupt?«, erkundigte sich jemand beim Hausherrn.
Die Runde unterhielt sich auf Sönderjysk, von manchen Deutschen des Grenzgebietes etwas verächtlich Kartoffeldänisch genannt. Hansen ließ sich nicht provozieren. Er nickte nur knapp und setzte sich, während Rasmussen breit grinste.
»Ja, das hätte ich auch nicht gedacht, Ebbe, dass ausgerechnet meine Gerda sich als künftigen Ehemann einen deutschen Beamten aussucht. Die leisten sich ja gemeinhin nicht mehr, als die Hacken zusammenzuschlagen.«
»Nein, Lars«, protestierte Hansen auf Hochdänisch. »Du tust ihnen Unrecht, wenn du alle über einen Kamm scherst.«
»Ich habe hauptsächlich diese Sorte kennengelernt«, erwiderte Rasmussen ernst. »Aber ich gebe dir Recht. Es gibt sicher auch andere. Nur scheinen sich leider immer die Opportunisten als Erste auf die Diskriminierten zu stürzen - wenn erst einmal festgelegt wurde, wer die jeweiligen Opfer sein werden. Wenn der Wagen umzukippen droht, helfen alle nach, ist eines unserer treffendsten Sprichwörter.«
Hansen nickte bedächtig. Solche Leute tummelten sich überall, er kannte genug Beispiele.
»Diese Leute gebärden sich dann als die schlimmsten, wechseln aber auch am schnellsten die Meinung«, fuhr der Hausherr fort. »In zehn Jahren sind vielleicht nicht mehr die Dänen von Schleswig die Staatsfeinde, sondern die Franzosen im Elsass, und sie gehen auf die los É«
»Wir werden immer Staatsfeinde der Deutschen bleiben, Lars«, fiel ihm ein junger Mann ins Wort und versuchte Hansen mit blitzenden blauen Augen zwischen die Dielenbretter zu stampfen.
Hansen hob sein inzwischen gefülltes Schnapsglas und prostete dem Hitzkopf zu. »Skol«, sagte er. »Danskerne og Friserne skal leve, Dänen und Friesen sollen leben.«
»Danke. Dänen und Friesen waren immer Freunde«, gab der überrumpelte Jüngling zu und stürzte seinen eigenen Aquavit verlegen hinunter.
»Schon seit Waldemar Atterdags Zeiten«, fügte Hansen listig hinzu. »Seit tausend Jahren!«
Rasmussen blinzelte ihm zu. Wie zu erwarten, war damit die Luft raus und die deutsch-dänische Feindseligkeit für diesen Tag beendet.
Später am Abend saßen Rasmussen und Hansen vor dem Kaminfeuer beisammen, während Gerdas Mutter sich zusammen mit einer Freundin in der Küche um die Beseitigung des Chaos kümmerte. Lars drehte sich eine Zigarette, die nicht besonders rund ausfiel, und zündete sie an.
»Ich kann dir nichts sagen«, beteuerte er nach dem ersten Zug. »Ich weiß selber immer noch nichts. Gerda wurde in Abwesenheit für staatenlos erklärt, das habe ich dir ja schon erzählt. Als Wanderlehrerin, die heimlich in dänischer Sprache unterrichtet, was jemanden zu einer anonymen Anzeige veranlasste, und mit mir als Vater musste es irgendwann so kommen.«
Hansen nickte stumm.
Rasmussen starrte in die flackernden Flammen, ohne etwas zu sehen. »Ich bin überzeugt, dass Gerda uns mit ihrem Schweigen zu schützen versucht. Ich wurde von der Polizei vorgeladen und verhört. Sie haben mir sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass ich wegen Mittäterschaft ins Gefängnis wandere, wenn sie je herausbekommen, dass ich Gerdas Aufenthaltsort kenne und ihn verschweige. Du weißt ja, dass ich sowieso schon immer auf einem schmalen Grat wandere.«
Hansen nickte wieder. Die Journalisten waren nicht nur von Berufs wegen am besten informiert, sondern besaßen obendrein die Möglichkeit, bei den dänischen Lesern Stimmung zu machen. Sie wurden deshalb von der preußischen Obrigkeit mit Argusaugen beobachtet.
»Unserer Generation gaben die Preußen wenigstens die Möglichkeit, für die dänische Staatsangehörigkeit zu optieren. Für einige Zeit glaubten wir auf diese Weise, ein Stück politischer Freiheit erhalten zu haben. Und eine für uns unerwartete Gerechtigkeit der Preußen zu entdecken.«
»Ich weiß.«
»Bis wir feststellten«, fuhr Rasmussen traurig fort, »dass sie uns in Wahrheit an unseren Kindern bestraften. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 17.05.2005