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Begraben unter
30 Zentner
schwerem Stahl

Fahrer verklagt Unfallversicherung

Von Hubertus Hartmann
Delbrück (WB). Eine lange rote Narbe zieht sich über seinen gesamten Bauch. Sie wird Dirk C. sein Leben lang an jenen schicksalhaften Tag erinnern, von dem der Familienvater aus Delbrück selbst sagt: »Ich habe meinen zweiten Geburtstag gefeiert.« Dirk C. wurde von einem 30 Zentner schweren Stahlträger begraben und hat überlebt.

Das Leben des heute 40-jährigen Lkw-Fahrers ist aber nicht mehr so wie vor dem schrecklichen Unfall. Mit seiner Unfallversicherung streitet er jetzt vor Gericht um die Höhe der Entschädigung.
Das Unglück passierte im März 2003. Für seinen Arbeitgeber, die Rietbergwerke, transportierte Dirk C. Stahlstützen nach Bad Salzuflen. Beim Abladen drückte der Kranführer versehentlich einen falschen Knopf. Der Ladearm schwenkte zurück und traf die bereits abgekoppelte Stütze. »Ich hörte einen Knall, drehte mich um, und da sah ich das Ding schon kommen«, erinnert sich das Opfer. Der Träger lag quer über seinem Oberkörper.
Mit schwersten inneren Darm- und Organverletzungen kam der Delbrücker ins Krankenhaus. Nach einer mehrstündigen Notoperation wurde der Patient für zwei Monate in einen künstlichen Tiefschlaf versetzt, fiel zwischenzeitlich ins Leberkoma - lange Zeit hing sein Leben an einem seidenen Faden. »Meine Frau wurde zweimal zu Hause angerufen, sie solle schnell kommen, es gehe zu Ende«, erzählt Dirk C.
Doch er überstand alle Krisen. Nach sechs Monaten konnte der künstliche Darmausgang zurück verlegt werden. Ein Jahr nach dem Unfall saß er wieder am Steuer seines Lkw. »Die Firma hat sich unheimlich sozial verhalten, sich um meine Familie gekümmert und mir meinen Job erhalten«, ist Dirk C. den Rietbergwerken sehr dankbar.
Seine volle Arbeitskraft wird er wahrscheinlich niemals wiedererlangen. Die Berufsgenossenschaft hat ihm eine Dauerrente von 35 Prozent zuerkannt, vom Versorgungsamt bekommt er 50 Prozent.
Nur seine private Unfallversicherung, die Aachener und Münchener, bemisst seine körperliche Beeinträchtigung auf lediglich 20 Prozent. »Das weicht natürlich eklatant von der eigenen Berufsgenossenschaft ab, die bekanntlich nicht zu großzügigen Geschenken neigt«, sagt der Paderborner Rechtsanwalt Peter Heeg. Sein Mandant leide unter Verdauungsproblemen, Sexualitätsstörungen, Schlaflosigkeit und vertrage nur noch leichte Speisen. Der Krankenhausarzt, der ihn operierte, geht nicht von einer Verbesserung des Allgemeinzustands aus und fürchtet, dass Dirk C. wegen Verwachsungen an den Narben in absehbarer Zeit erneut operiert werden muss.
Nach Ansicht des vom Landgericht Paderborn bestellten medizinischen Sachverständigen, Prof. Dr. Richard Viebahn, kein Grund, den Behinderungsgrad höher anzusetzen. »20 Prozent sind für seinen Zustand schon eine ganze Menge«, meint der Chirurg aus Bochum. Die Beschwerden würden sich bessern. Die Zivilkammer sprach dem Unfallopfer deshalb nur 23 000 Euro zu. »Man muss zwischen Arbeitsfähigkeit und Beeinträchtigung der Lebensqualität unterscheiden«, macht Richter Adalbert Heine deutlich. Die psychische Beeinträchtigung falle bei Leistungen aus der Unfallversicherung nicht ins Gewicht, es gehe in diesem Fall allein um die körperlichen Schäden. Trotzdem will Dirk C. das Urteil nicht akzeptieren und Berufung einlegen.
Az.: 2 O 88/04

Artikel vom 17.05.2005