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Retter dank Spendenschiffchen
Seit 140 Jahren gibt es die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger - 72 000 Menschen aus Seenot geholt
Zwischen Emden und Usedom stehen die kleinen hellbeige-roten Schiffchen mit dem Schlitz und der Aufschrift DGzRS auf beinahe jeder Kneipentheke. Cent um Cent, Euro um Euro füllen sie sich. Manchmal findet sich sogar ein Schein dazwischen.
»Natürlich haben wir hier oben an der Küste den größten Rückhalt«, erzählt Andreas Lubkowitz, »da wissen die Leute naturgemäß am meisten über den Wert unserer Arbeit.« DGzRS - seit jetzt 140 Jahren stehen diese Buchstaben für die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Und nimmt auch die Dichte der Sammelschiffchen in Richtung Süden ab, so wissen die Seenotretter doch sehr wohl um den Rückhalt aus dem Binnenland. Auch in Nordrhein-Westfalen, unterstreicht Lubkowitz, Öffentlichkeits-Arbeiter der Gesellschaft, gebe es eine treue Unterstützer-Gemeinde: »Gerade längs der Weser. Schließlich haben hier oben an der Nordsee früher viele Flussfischer als Heringsfänger angeheuert. Das verbindet.«
Und noch etwas: Einer der Gründerväter der deutschen Seenotrettung stammt aus Gütersloh: Nicht zuletzt Adolph Bermpohl ist es zu verdanken, dass heute ein dichtes Netz aus 20 Seenotkreuzern und 41 Seenotrettungsbooten an der deutschen Küstenlinie bereit steht, 185 haupt- und gut 800 ehrenamtliche Retter bereit sind, sich bei jedem Wetter für andere aus dem sicheren Hafen zu wagen.
Seit dem Gründungsdatum im Jahr 1865 haben die Männer der DGzRS mehr als 72 000 Menschen aus brodelnder See oder havarierten Schiffen gerettet. Allein im Jahr 2004 holten sie bei 2547 Einsatzfahrten 368 in Seenot Geratene ins Trockene, befreiten weitere 837 Skipper, Matrosen und Passagiere aus kritischen Gefahrensituationen. »Wir können in unserem Kerneinsatzgebiet an Nord- und Ostsee binnen 90 Minuten jeden Einsatzort erreichen«, berichtet Lubkowitz nicht ohne Stolz.
Die Kehrseite: 45 Retter kehrten nicht von See zurück. Zuletzt 1995 kam es zu einem folgenschweren Unglück: Der Rettungskreuzer »Alfried Krupp« wurde auf der Rückfahrt von einem Einsatz vor der niederländischen Küste von einer gut 14 Meter hohen Monsterwelle erfasst. Lubkowitz: »Das 27-Meter-Schiff kenterte durch, zwei Männer, die an Deck waren, wurden fortgespült.«
Gefährlich ist die Seefahrt also noch immer - doch unvergleichlich risikoreicher ging es auf den Meeren in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu. Im November 1854 etwa strandete im Herbststurm das Auswandererschiff »Johanne«. 84 Menschen ertranken in tosender See. Allein vor den deutschen Nordseeinseln gerieten damals um die 50 Schiffe jährlich in Seenot - von einer organisierten Rettung von Schiffbrüchigen indes keine Spur. Im Gegenteil: Das »Strandrecht« ließ die Insulaner frohlocken. Was von den Havaristen übrig blieb, oft wertvolle Ladung, gehörte ja ihnen...
Besagter Adolph Bermpohl, gebürtiger Gütersloher, zunächst Obersteuermann auf Tiefseeseglern, dann Navigationslehrer an einer privaten Seefahrtschule, mochte da nicht länger untätig bleiben. Erschüttert über die Berichte von Augenzeugen, prangerte er am 3. Oktober 1860 in der »Vegesacker Wochenschrift« die Teilnahmslosigkeit der Bevölkerung angesichts des Leids der Schiffbrüchigen öffentlich an. Der zu jener Zeit erst 27 Jahre alte Seemann fand bald Mitstreiter, und bereits im März 1861 konnte in Emden der »Verein zur Rettung Schiffbrüchiger in Ostfriesland« ins Leben gerufen werden. Vor allem Dr. Arwed Emminghaus, Redakteur des Bremer Handelsblattes, setzte sich in den Folgejahren dafür ein, dass der Seenotrettungsgedanke weiter transportiert wurde - und dass es nicht zu einer Zersplitterung in örtliche Vereine kam. Vier Jahre später erreichte er das große Ziel: die Gründung der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger am 29. Mai 1865 in Kiel.
Stolz kann die DGzRS nicht nur auf ihre Leistungen sein. In Zeiten, wo alles nach öffentlichen Mitteln schreit, finanziert sie sich bis heute allein aus Spenden. Andreas Lubkowitz: »Einzig kurz nach dem Zweiten Weltkrieg hat uns der erste Bundespräsident Theodor Heuss mit Wiederaufbaumitteln den Neustart ermöglicht.«
60 Einheiten sind heute, vom Sieben-Meter-Boot bis zum 44-Meter-Kreuzer, im Einsatz. Die Spenden allerdings stagnieren seit dem Jahr 2000 bei etwa 16,3 Millionen Euro - was real einen Rückgang bedeutet.
300 000 feste Förderer zählt die Gesellschaft bundesweit. Darüber hinaus tragen ungezählte Kleinspender dazu bei, dass die Retter einsatzbereit bleiben. Unter anderem mit besagten Sammelschiffchen, deren Bäuche im vergangenen Jahr fast eine Million Euro transportierten. »Die Menschen sind bereit zu spenden und sehr großzügig«, lobt Andreas Lubkowitz. Allerdings hätten die großen Katastrophen wie zuletzt die Tsunami-Welle die stillen Helfer ein wenig aus dem Blickfeld verdrängt. Rocklegende Achim Reichel, ein echter Hamburger Jung, will nun im 140. Jahr als »Bootschafter« für die Seenotretter »trommeln« - oder jedenfalls singen.
Übrigens: Für alle, die mehr über die deutsche Seerettung wissen möchten, gibt's in der Bremer DGzRS-Zentrale einen Besucherdienst. Etwa 5000 Gäste nehmen ihn jedes Jahr in Anspruch. Und die kommen wirklich aus ganz Deutschland. Andreas Lubkowitz: »Wir hatten schon viele Gruppen vom Alpenverein hier. Da gibt's eine sehr enge Verbundenheit.«
Zusätzlich zeigt das Bremer Focke-Museum bis zum 3. Oktober die umfassende Ausstellung »Aus Sturm und Not - 140 Jahre DGzRS. Ingo Steinsdörfer
www.dgzrs.dewww.focke-museum.de

Artikel vom 25.06.2005