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Pflege ohne Familie in Not

Private Versorgung bricht weg - Weniger Rente für Kinderlose

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld/Köln (WB). Ostwestfalen-Lippe droht ein dramatischer Engpass bei der Pflege. Während die Zahl der Pflegefälle bis 2020 um 31,5 Prozent steigt, sinkt die Zahl junger intakter Familien, die pflegen können, stark ab.

Derzeit leben in OWL 47 816 Menschen, die einen Anspruch auf Pflegeversicherung haben. Eine etwa gleich große Gruppe hat Hilfe- und Unterstützungsbedarf, ohne Leistungen zu erhalten, so die Bielefelder Politikerin Angelika Gemkow (CDU). Die Landtagsabgeordnete hat im Frühjahr ihren Abschlussbericht zur »Zukunft der Pflege in NRW« vorgelegt. Seitdem steht die einmalige Faktensammlung im Blickpunkt einer intensiven Debatte unter Fachleuten. Wegen des laufenden Wahlkampfs hat das zwar zur Anerkennung der beteiligten Politiker aus unterschiedlichen Parteien geführt, aber noch keine Konsequenzen gehabt.
Die Zunahme der Pflegebedürftigen fällt im Kreis Paderborn mit 49 Prozent und im Kreis Gütersloh mit 46,7 Prozent am deutlichsten aus. Günstiger kommt Bielefeld mit 13,1 Prozent Zuwachs davon. »Unsere Städte und Kreise in OWL sind aufgerufen, sich intensiv dieser Herausforderung zu stellen«, sagte Gemkow dem WESTFALEN-BLATT. Alter und Pflege sind für sie die »Megathemen der Zukunft«.
Der Enquête-Bericht ist der erste seiner Art in Deutschland. Er gibt mehr als 100 Empfehlungen, wie die Qualität der Pflege gesichert und verbessert werden kann. Angehörige seien der »größte Pflegedienst der Nation«, heißt es in dem Bericht, weil 70 Prozent in Familien versorgt werden. Da die Bevölkerungsentwicklung und der soziale Wandel unumkehrbar seien, werde die Familienhilfe Zug um Zug abnehmen, heißt es weiter.
»Es besteht großer Handlungsbedarf«, schlägt Gemkow Alarm - sowohl bei der Versorgung und Pflege Alleinlebender, chronisch Kranker, Hochaltriger, demenz-kranker Menschen und Älterer mit Behinderungen. Aber auch das Personal müsse in den ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen in die Lage versetzt werden, Pflegemängel und Pflegefehler zu vermeiden. Fachleute erwarten, dass die Zahl Pflegebedürftiger bis 2040 in NRW auf 699000 steigen wird - 52,4 Prozent Zuwachs.
Unterdessen schlägt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) weniger Rente für Kinderlose vor. Die Altersversorgung sollte an die Zahl der Kinder gekoppelt werden. Nur noch 45 Prozent der Rentensumme würde danach an alle ausgeschüttet. Kinderlose sparten Erziehungskosten und könnten Kapital für eine ergänzende Altersvorsorge anlegen, hieß es am Mittwoch zur Begründung.
Derzeit stiegen die Beitragssätze, während sich alle Rentner auf langsamer steigende Bezüge einstellen müssten, kritisierte das IW: »Auch Familien mit Kindern müssen die Suppe auslöffeln, die ihnen andere durch Kinderlosigkeit eingebrockt haben.« Eine Kopplung der Rente an die Kinderzahl sorge dagegen für einen Ausgleich. Bezogen auf die Durchschnittsrente von 2003 in Höhe von 954 Euro rechnete das IW vor, dass bei seinem Modell nur noch 429 Euro aufgrund der geleisteten Beiträge ausgezahlt würden. Zusätzlich gäbe es 243 Euro pro Kind.

Artikel vom 05.05.2005