04.05.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Nachkriegsgeschichte erhält ein Gesicht

Ausstellung ». . . in jenen Tagen« im Stadtarchiv eröffnet

Von Matthias Meyer zur Heyde und Bernhard Pierel (Fotos)
Bielefeld (WB). Den leeren Kassen und der auch personell stiefmütterlichen Behandlung durch die Politik zum Trotz haben Mitarbeiter des Stadtarchivs eine außerordentlich eindrucksvolle, didaktisch durchdachte Ausstellung erarbeitet, die den Besuch in jedem Fall lohnt: ». . . in jenen Tagen« zeigt Bielefeld von 1945 bis 1950.

Millionen von Toten, völlig zerstörte Städte, Hunger, Elend, Vertreibung - die Bilanz der NS-Diktatur fällt vernichtend aus. Beim Betreten des Vortragsraumes, in dem die Alt und Jung gleichermaßen zu empfehlende Schau aufgebaut ist, fällt der Blick des Besuchers zunächst auf aussagekräftige Originalplakate der unmittelbaren Nachkriegszeit: Aufrufe an die Bevölkerung zu Problemen der Kriegsgefangenen und Vermissten, anklagendes Zahlenmaterial, erste Lehren aus den Nürnberger Prozessen (»Hitlers Freunde über Hitler«) und schließlich ein Plakat zur Berlin-Blockade führen in die gewaltigen Probleme ein, die die Überlebenden lösen mussten.
»Nicht die letzten Kriegstage, sondern der langwierige Wiederaufbau interessierten uns bei Konzeption der Ausstellung«, sagt der im Stadtarchiv an der Rohrteichstraße beschäftigte Historiker Bernd Wagner. Unter widrigen Umständen hat er die Schau zusammen mit der Historikerin Monika Minninger und Dagmar Gieseke (beide Stadtarchiv) von der ersten Idee bis zu deren Realisation Wirklichkeit werden lassen: Zu sehen sind archiveigene Fotos und Dokumente, kommentiert durch eigene und Quellentexte; Leihgaben kommen von Sennes Ortsheimatpfleger Hans Schumacher, den Münzfreunden Bielefeld und der Jüdischen Gemeinde.
Geschichte, die anderswo gerne in staubtrockener Fachliteratur versteckt wird, erhält hier ein Gesicht. Wagners Team fertigt Ernährungsprobleme nicht in Kalorientabellen, Wohnungsnot nicht in Statistiken ab, sondern illustriert die Themen mittels Bildern und unmittelbar fassbaren Quellen. Das Flüchtlingselend wird nicht beschrieben, sondern gezeigt, Entnazifizierung bleibt kein Wortungetüm aus fernen Zeiten - hier sieht man (in Auszügen) einen originalen Fragebogen.
Völlig unbekannt dürfte das Thema »British Bielefeld« sein, das dem Betrachter auch anhand hiesiger Zeitungen in englischer Sprache (»Shall we build or break Germany?«) nahegebracht wird. Der Neubeginn lokaler Unternehmen, die Bielefelder Jugend zwischen Vagabundentum und neuem Gemeinschaftsgeist sind ebenso berücksichtigt wie das Kulturleben - das Besatzer und Zivilbevölkerung strikt trennte.
Harald Pilzer, kommissarischer Leiter des Stadtarchivs, und Eberhard David dankten gestern zur Eröffnung den Kuratoren für ihr Engagement und priesen das hier verfolgte Konzept des Nach-Vorne-Schauens. »Ich wünsche mir ein reges Interesse der Bielefelder an dieser Ausstellung«, sagte der Oberbürgermeister. Monika Minninger riss einige der damals drängendsten Probleme an und führte Tonbandaufnahmen von den Entnazifizierungsverfahren vor den Spruchgerichtskammern des Landgerichts vor. Die Ausstellung ist bis zum 6. Juli montags von 14 bis 16 Uhr sowie dienstags bis freitags, 10 bis 12 und 14 bis 16 Uhr, geöffnet. Führungen können unter Tel.: 51-2469 und 51-2472 vereinbart werden.

Artikel vom 04.05.2005