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Zu Christi Himmelfahrt

Von Pfarrer Dr.Dr. Markus Jacobs



Als Kind haben mich Erfahrungen in der Schweiz sehr unangenehm berührt. Ich war mit der Familie mehrfach in einem kleinen Bergdorf zu Gast. Nach einiger Zeit kam ich dahinter, dass ganz viele der scheinbar so friedlichen Bauernhäuser im Keller komplett eingerichtete Atombunker aufweisen. Mit den Jahren wurden es immer mehr von diesen umgestalteten Kellern. Wie in den einschlägigen amerikanischen Filmen, bestehen diese Räume aus mindestens einen halben Meter dicken Betonwänden, schweren Türverschlüssen, Notrationen aller Art und manchen anderen Zugaben. Schließlich wurde im Dorf sogar der Vorplatz einer uralten Kirche ausgeschachtet, mit einem großen Atombunker komplett unterkellert, bis auf eine geschickt getarnte Eingangstür wieder mit Erde bedeckt und setidem als Parkplatz genutzt.
Mich bewegte damals und bewegt bis heute immer dieselbe Frage: Was wäre das für ein Leben? Man stelle sich das Szenario vor: der kaum auszumalende Ernstfall ist eingetreten und die Welt wurde mit Atombomben überzogen. Die besonders pfiffigen und weit blickenden Bürger hätten also einen Atombunker in ihrem Keller und wären dort hinein geflohen. Die Erdoberfläche wäre nuklear verseucht. Anzunehmender Weise könnten über Jahre, vielleicht über Jahrzehnte die wenigen Überlebenden nicht mehr ihre Bunker verlassen. Würde ich ein solches Leben wollen?
Verdichtet auf einen kleinen Ausschnitt des Dramas reicht mir schon die Vorstellung: Nie mehr den Himmel sehen dürfen? Nie mehr einen Sonnenaufgang genießen dürfen? Nie mehr frische Luft atmen dürfen? Nie mehr den Wind im Gesicht spüren dürfen? Nie mehr in die Weite blicken dürfen?
Wir feiern heute das Fest „Christi Himmelfahrt“. Dem Geheimnis der Auferstehung Jesu fügt dieses Fest nichts eigentlich Neues hinzu. Christus war in seinem Auferstehungsleib ohnehin unabhängig von unserer gewohnten Körperlichkeit. Und die „Auffahrt“ zum Himmel hatte auch nach dem Zeugnis der Bibel mit „Fahren“ nichts zu tun. Dieser Begriff mit all seiner Anfechtbarkeit fasst nur in eine menschlich nachvollziehbare Ausdrucksweise, was menschliche Sinne im Grunde genommen gar nicht fassen können. Manche der Evangelien halten diesen Abschluss der Auferstehungserscheinungen sogar nicht einmal für berichtenswürdig. Aber in der Geschichte des christlichen Glaubens hat sich diese Bildersprache tief eingegraben.
Denn der Himmel ist eines der großartigsten Bilder menschlicher Sehnsucht. Der Blick in den Himmel ist Inbegriff der größten Weite, die wir in dieser Welt sinnlich wahrnehmen können. Der Himmel ist Chiffre für die Entgrenzung aller beklemmenden Schranken, in denen wir uns erleben. Der Himmel ist Symbol für Freiheit und Größe des Weltalls zugleich. Und obwohl jedermann weiß, dass Gott nicht in einem „Himmel“ wohnt, der als Ort über uns liegt, macht doch schon das kleinste Kind die Geste mit dem Zeigefinger nach oben, wenn es ohne Worte ausdrücken will, wo Gott sich findetÉ
Zurück zum möglichen Leben im Atombunker: was wäre das für ein Leben? Wahrscheinlich könnte man „überleben“, aber man könnte nicht „leben“. Der Mensch ist zwar bekanntlich anpassungsfähig und vermutlich würde er auch diese Umstellung hinbekommen, nur zu welchem PreisÉ
Ich bin überzeugt: wir brauchen nicht einmal den atomaren Ernstfall, um den Verlust des Himmels zu beobachten. Wie viele Zeitgenossen leben auch schon jetzt im Grunde so, dass sie freiwillig oder aus Trägheit auf die größte Weite im menschlichen Herzen verzichten. Ein Leben ohne Himmel, ein Leben ohne Ewigkeit, ein Leben ohne Gott, ein Leben ohne jene Liebe, die den Tod nicht fürchtet, ist möglich - das wird uns täglich millionenfach vor Augen geführt. Und man kann auch beeindruckt sein von den vielen kleinen Freuden und Spassfaktoren, die sich Menschen im ewigkeitslosen Lebensbunker erarbeiten. Aber was ist das alles gegen den wirklich offenen Himmel, in dem die ewige Liebe wartet, in dem uns noch etwas geschenkt wird, was wir uns hier noch nicht einmal ausmalen können? Und wenn uns das erwartet, wie lebe ich dann auf dieser Erde schon himmelsbewusst?

Artikel vom 05.05.2005