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PrologVom Ruder her schlug es vier Glasen, die große Glocke antwortete, und der Ausguck sang sein Lampen brennen! Er konnte es trotz des Rauschens des Wassers hören, als er stehen blieb, um sich festzuhalten. Mehr als einmal war er bereits durch den Laderaum getorkelt und auf den Planken hingeschlagen.
Verdammtes Gieren! Dieser Kahn war wirklich ungewöhnlich unstabil!
In dem gottverlassenen kleinen Inselhafen hatte er sein Glück kaum fassen können, außer Fischerbooten die Silhouette eines großen Schiffes zu entdecken, das an der Außenmole vertäut war.
In der rabenschwarzen Nacht war weder im Dorf noch im Hafen jemand unterwegs gewesen. Trotzdem hatte er sich im noch schwärzeren Schatten von Kistenstapeln und Netzbergen, durch ölige Pfützen und Fischabfälle lautlos auf dem Kai vorgearbeitet, bis er an dem scharf geschnittenen Steven des Schiffes angelangt war. Es war eindeutig der eines Dampfers, und soweit er erkennen konnte, gab es an Bord nicht einmal Wachen.
Beim Gedanken daran lachte er in sich hinein. Fast war er in Versuchung gewesen, die regennasse Gangway hochzuspazieren, wie es ihm als Passagier eines Schnelldampfers zustand. Dann aber hatte die Vernunft gesiegt: Er war flink wie eine Ratte hochgehuscht und hatte sich im erstbesten Niedergang nach unten gestohlen.
In der Sicherheit der Schiffswände hatte er sich erst einmal mit allen Sinnen orientiert. Es war nichts zu hören gewesen. Entweder schlief die Mannschaft schon, oder es war kaum jemand an Bord.
In seiner Erleichterung, nun fast schon in Sicherheit zu sein, war ihm ein einziger Fehler unterlaufen. Das Schiff war kein Dampfer, wie er geglaubt hatte, sondern ein abgewirtschafteter Segler.
Das Schlingern war unerträglich. Kein Wunder! Diesem Seelenverkäufer war der Motor ausgebaut worden. Er schnaubte verächtlich, als ihm die alten Fundamente ins Auge fielen.
Ausgerechnet auf einem vom Dampfer zur Bark degradierten Schiff fuhr er jetzt ins Ungewisse! Wer wusste nicht, dass die Reeder ihre ausgedienten Dampfer zum Segelschiff umbauen ließen, wenn sie diese noch ein paar Jahre nutzen wollten! Kosten ließen sich auf diese Weise sparen - und Versicherungsgebühren kassieren, wenn der Seelenverkäufer endlich untergegangen war.
Wahrscheinlich fuhr der Kahn zu wenige Segel, wie manche seiner Art. Und wegen seiner scharfen Bauweise war er empfindlich gegen höhere Wellen und vermutlich notgedrungen öfter im Schutz vor schwerem Wetter als andere Schiffe. Schnell würde die Reise also nicht werden. Oder - die allerschlimmste Möglichkeit -, das Schiff war auf dem Weg zum Meeresgrund mit einem Kapitän, der bereit war, zusammen mit dem Reeder Versicherungsbetrug zu begehen. Vor allem die kaum nennenswerte Ladung sprach für diese Planung.
Gänsehaut überzog seinen Rücken.
Der einzige Lichtblick war, dass man ihn noch nicht entdeckt hatte, obwohl er bereits die vierte Nacht an Bord war. In der zweiten war der Segler nur wenige Stunden mit halbem Wind unterwegs gewesen, was er sich an der konstanten Schräglage leicht hatte ausrechnen können. Dann war er vor Anker gegangen.
Mitten in der Nacht und in fast vollkommener Lautlosigkeit. Nur ein leises Scharren und gelegentliches Rumpeln war zu vernehmen gewesen. Während er, verborgen hinter einem der Ballasttanks, mit geschärften Sinnen die Sterne durch das offene Luk betrachtet hatte, war ihm aufgegangen, dass mit diesem Schiff etwas nicht stimmte. Ganz offensichtlich war sein Kapitän kein Freund von Zollkuttern. Und dafür musste es Gründe geben.
Diese Erkenntnis hatte seine Laune beträchtlich gehoben. Illegale Geschäfte zogen ihn an, und für gewöhnlich fand er einen Weg, sich an ihnen zu beteiligen. Er musste nur erst einmal feststellen, um welches Geschäft es sich handelte.
Bisher hatte er nichts Bemerkenswertes entdecken können. Es war vielmehr das Fehlen von auffälliger Ladung, was ihn beunruhigte. Womöglich war in der Nacht gar keine Ladung an Bord gekommen, sondern Menschen? Oder die Ware war so beschaffen, dass sie in der Kapitänskajüte verwahrt werden musste? Es war ihm ein Rätsel.
Das Einzige, das er bisher sicher in Erfahrung gebracht hatte, war, dass das Schiff als Tiefwassersegler ausgerüstet war. Denn im vordersten Laderaum vor dem Kollisionsschott war Proviant in erstaunlicher Fülle gestaut. Außer Säcken mit Mehl, Reis, Bohnen und Kartoffeln hatte er mehrere Fässer mit Pökelfleisch entdeckt. Das war Vorrat für eine wochenlange Reise über offenes Wasser.
Dazu passte die umfangreiche Schiffsausrüstung. Die Ersatzteile füllten einen eigenen Raum. Mit Hilfe von Taurollen hatte er sich dort einen einigermaßen erträglichen und jetzt am Anfang der Reise auch ziemlich sicheren Schlafplatz geschaffen.
Zu einer weiten Reise passten jedoch nicht die verhältnismäßig wenigen Stückgutkisten im Laderaum am Heck. Überdies wusste er nicht einmal, ob sie schon dort gewesen waren, als er an Bord gekommen war.
Noch war allerdings der größte Laderaum leer. Vielleicht waren sie unterwegs in die Nordsee und sollten in England Kohle laden? Andererseits fehlten die Längsschotts und die von der See-Berufsgenossenschaft neuerdings vorgeschriebenen Ventilatoren. Überhaupt wirkten die Laderäume nicht, als hätte das Schiff jemals Massenprodukte wie Getreide, Salz oder Kohle befördert. Eher teure Güter. Kaffee und Rum kamen in Frage. Und auf dem oberen Deck Passagiere. Die Reihe von hölzernen Türen mit Messingbeschlägen, die er trotz seiner Eile wahrgenommen hatte, sprach für Kabinen gut zahlender Gäste.
Eine starke Krängung warf ihn unerwartet gegen einen der großen Ballasttanks. Er hielt sich an ihm fest, während er sich die schmerzenden Rippen rieb und sich Gedanken über die daumenstarken Gewinde an allen vier Ecken machte. Dann entdeckte er, dass er auf einer viereckigen Platte stand, durch die die dazugehörigen Bolzen geschraubt waren.
Er klopfte mit einem Fingerknöchel an die Wand. Der Tank war leer.
Er wusste, dass Segler ohne Ballast, mit wenig Ladung und hohen Masten leicht kentern konnten. Sein Unbehagen ließ sich allmählich nicht mehr ignorieren. Was war mit diesem Schiff los?
Ein leises Klirren oder vielmehr Schaben von Metall hinter dem Ballasttank ließ ihn aufhorchen. Das Geräusch verschwand, als der Segler durch den Wind gegangen war und auf dem anderen Bug lag.
Kniend spähte er unter den Tank.
Dort war es stockfinster, er musste mit der Hand tasten. Außer auf unappetitlichen, feuchten Unrat stieß er endlich auf kaltes Metall, das er hervorzog und im Licht von oben betrachtete.
Vor Überraschung stieß er einen lauten Pfiff aus. Zwischen der Bordwand und dem Tank war ein eiserner Ring eingeklemmt gewesen, an deren einer Seite eine Stange mit Haken befestigt war. Die gegenüberliegende fehlte. Aber er wusste ohnedies, wozu ein solcher Ring benutzt wurde. In seinem Gewerbe musste man auf allen Gebieten beschlagen sein.
Zufall, dass dieser Ring hier lag? Er grinste erwartungsvoll.
So unwahrscheinlich ihm diese sehr spezielle Form des Handels in heutiger Zeit vorkam: Jetzt musste er dringend in Erfahrung bringen, was die Kisten im hintersten Laderaum enthielten. Es war denkbar, dass ein Zusammenhang bestand.
Vorsichtig kroch er durch die Luke am Schott des Kajütdecks. Sein Blick wanderte für einen Augenblick nach oben. Auch hier war die Luke des Laderaums verkeilt, aber nicht geschlossen, und noch drang letztes Tageslicht bis nach unten, genug jedenfalls, um ihm einen Blick auf die Kisten zu erlauben.
Beschriftet waren sie nicht, aber einander ähnlich wie ein Ei dem anderen. Es gab zwei Typen, der eine war länglich und nur eine Armspanne breit, der andere hatte einen annähernd quadratischen Grundriss. Das Holz der Kisten roch frisch und harzig, die Bretter waren nur grob gesägt, aber jedes einzelne bestimmt zwei Zentimeter stark.
Waffen?
Er zitterte vor Aufregung. Wenn das stimmte, war er gerettet.
Ein vernünftiger Kapitän würde auch ohne handfeste Drohung zu einem Handel bereit sein. Vielleicht konnte er sogar in das lukrative Geschäft einsteigen.
Ohne zu zögern, stieß er den Marlspieker, den er im Schiffszubehör gefunden hatte, zwischen Deckel und Seitenwand und begann zu hebeln.
Kapitel 1
God morgen, børn! I dag skal vi lære en dejlig dansk vise, guten Morgen, Kinder! Heute wollen wir ein schönes dänisches Lied lernen. So oder so ähnlich hatte Gerda gewiss den von den Preußen verbotenen Schulunterricht in dänischer Sprache begonnen, an dem Tag vor acht Wochen, an dessen Abend sie spurlos verschwand. Sönke Hansen, Wasserbauinspektor in Husum, starrte auf die Sonne, die soeben hinter dem Steinwall, der seinen Garten umschloss, aufging, bis ihm die Augen schmerzten.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 12.05.2005