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Im Lager kam
Heimweh auf

Heinrich Kronsbein erinnert sich

Von Julia Lüttmann
Spenge (SN). Vor 60 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Die Redaktion der SPENGER NACHRICHTEN nimmt dieses zum Anlass, Zeitzeugen berichten zu lassen, wie sie die letzten Tages des Dritten Reiches erlebten. Im vierten Teil der Serie »Mein Kriegsende« berichtet Heinrich Kronsbein (85), der von Spenge aus in die Kriegsgefangenschaft abtransportiert wurde.

Der 18-Jährige wurde 1943 zum Arbeitsdienst eingezogen, im Juli 1944 musste Heinrich Kronsbein an die Front. Doch seine Kompanie, die in der Nähe von Paris stationiert war, befand sich zu diesem Zeitpunkt schon stetig auf dem Rückzug vor dem Feind.
Hatte Kronsbein bis dahin noch an den Sieg geglaubt, verlor er seine Illusionen schnell.
In Frankreich geriet er das erste Mal in Gefangenschaft, nachdem sich seine Vorgesetzten ergeben hatten. Er floh jedoch, fand seine Einheit wieder und wurde im Oktober 1944 bei Aachen schwer verwundet. Bis April blieb er im Lazarett - erst in Rinteln, dann in Herford, zuletzt in der Spenger Menkhoff-Schule. Die Ungewissheit plagte damals alle: »Wir hörten die Panzer, wussten nicht was kam.«
»Ich war der erste Gefangene, der herausgeführt wurde«, erinnert er sich noch genau an den 7. April, als die Amerikaner das Lazarett betraten. »Ich musste mit erhobenen Händen auf die Straße treten und wurde auf einen Lkw verladen. Ich habe damals gedacht, dass ich Spenge ein paar Jahre nicht sehe.«
Über Werther und Bielefeld führte ihn der Weg in ein Lager nach Rheinberg, wo die Gefangenen sechs Tage unter freiem Himmel campierten. Von dort aus wurden die Gefangenen ins französische Attiechy gebracht. 120 000 deutsche Gefangene: »Da haben wir das Hungern gelernt«, erzählt Kronsbein.
»Ein Weißbrot ÝreichteÜ für 100 Menschen. Jeder bekam ein Stück so groß wie ein Stück Zucker und eine dünne Suppe.« Als die Gefangenen Zelte bekamen, schliefen sie in Dreier-Reihen, drehten sich nachts auf Kommando um.
Auch das Lagerleben hatte seine Rituale: Jede Nacht um Mitternacht trat ein Tenor vor sein Zelt und sang das Wolgalied und »Bei uns zu Haus' löscht Mutter grad die Lichter aus«. Die Wachposten ließen ihn nicht nur gewähren, sie richteten sogar den Scheinwerfer auf ihn. »Da kam Heimweh auf«, blickt der 85-Jährige zurück.
Im Lager erfuhr er auch, dass der Führer nicht mehr lebte: »Da mussten wir auf dem Appellplatz antreten. Und ich war froh, als am 8. Mai der Krieg zu Ende war.« Am 3. Juli endete der Krieg auch für den jungen Spenger: Heinrich Kronsbein wurde zurück nach Rheinberg verlegt und am 4. Juli nach Spenge entlassen. »Mit den Worten: So - und jetzt ab nach Mama.«

Die nächste Folge der Serie »Mein Kriegsende« erscheint am Dienstag, 10. Mai. Dann erzählt Günter Hemminghaus.

Artikel vom 05.05.2005