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Die Kehrseiten der Zivilisation

Malerin Irmela Osthus hinterfragt in ihren Werken den Schönheitswahn

Von Johannes Zoller
Gütersloh (WB). Geht man von der Haupteinkaufsstraße einer Großstadt in die Hinterhöfe, dann sieht man dort möglicherweise die Kehrseiten des konsumorientierten, aufgetakelten Perfektionismus. Und bekommt eine Ahnung davon, wie die Gütersloher Malerin Irmela Osthus die Dinge betrachtet.

Durch die Wahrnehmung der Rückseiten des ach so oberflächlich Vordergründigen entsteht bei ihr die Inspiration, die sich in faszinierenden Gemälden wiederspiegelt. In der Tradition und Weiterführung des Bauhausgedankens, im Sinne eines Paul Klee unter die Oberfläche zu schauen, interessiert sich Irmela Osthus für die Schattenseiten der äußerlich glänzenden, scheinbar unanfechtbaren und doch so illusionären Norm. In Prozessen der Auflösung wie die Verrostung einer Regenrinne oder in Szenarien der Zerstörung wie der Abriss eines Hauses findet der Betrachter im Moment des degenerativen Verwandlungsvorganges den unvermuteten Eingang in jene ganz andere Welt des Erlebens, für die die Gütersloher Künstlerin steht. Herkömmliche Begrifflichkeiten mit ihren Beurteilungen müssen hier jedoch ins Stocken geraten.
Stimmungsbilder von Schrottplätzen mit ihren angerosteten Containern, verbogenen Eisen und Stahlgerüsten, alten Metallfässern mit abblätternder Farbe und verknitterte Metallbehälter, wo gerade die Licht- und Schattenverhältnisse in ureigener Art und Weise Struktur bildend eingreifen, haben der Malerin über Jahre als Motive gedient. Ihre Bilder beschäftigen sich mit der in Transformation befindlichen Stofflichkeit wie mit der Degeneration zum Ursprünglichen. An diesem Punkt befreit sich für die im Jahr 1943 in Bad Salzuflen geborene Künstlerin das Farberlebnis. Hier beginnen ihre Farbenwelt und ihr Schaffen darin. Wenn man so will, kann man Gegenständlichkeiten in ihren Bildern entdecken, stellt aber fest, dass sie mehr oder weniger nebensächlich geworden sind. Wesentlich sind vielmehr die Wirkungen des Lichtes und des Schattens wie die lyrisch anmutende Komposition der Farbgebung. Die Ölgemälde entstehen nach umfangreicher, innerer Vorbereitung relativ zügig, was den eigentlichen Malprozess angeht.
Die Künstlerin findet sich gerade im Bereich der kräftigen, dunklen Farben sehr sicher zurecht. Sie kann Nuancen setzen zwischen tief und noch tiefer, dunkel und noch dunkler oder frei und noch freier. Freiheit beim Malen ist für sie von entscheidender Wichtigkeit. Die Fähigkeit des Planens hat sie von ihrem ehemaligen Beruf der Architektur entlehnt. Eine Ambivalenz ihrer Kunst besteht jedoch darin, dass sie sich vollkommen vom Planmäßigen befreit, obwohl sie es simultan mit großem Können aus langjähriger Erfahrung anwendet, ohne hingegen jemals daran zu denken. Es kommt in ihren Bildern, wo es mitunter um die Auflösung der naturalistischen Gegenständlichkeiten geht, eine Kraft zum Ausdruck, die in ihrer komplexen Ausstrahlung für den staunenden Betrachter kontinuierlich zunehmen kann. Musikalisch ausgedrückt käme zum Intervall der Oberton oder gar ein imaginärer Unterton hinzu, und zum Tonalen käme so etwas wie ein Urklang, der vielleicht unhörbar ist, aber überaus mächtig. Diese Malerin arbeitet aus einer durchsinnlichten, in sich wissenden, intelligenten Emotion.
In der jüngeren Reihe der Portraits findet der Betrachter vor allem farbliche, aber auch die Formgebung betreffende Elemente vor, die nicht aus naturalistischer Weltanschauung sondern aus dem Staunen über diese resultieren. Wenn im Vergleich zu den Schrottplatzbildern und noch früheren aus mehr kubistischem Einfluss entstandenen Bildwerken ein Weg der Abstraktion beschritten wurde, so erinnern die Portraits an die expressionistische Kunstrichtung. Hier wird noch einmal mehr sehr deutlich, dass Irmela Osthus nicht irgendeinem verlogenen Schönheitswahn nachhängt und ihre immer mit Bedachtsamkeit gewählten Worte werden glaubhaft, da sie mitteilt: »Kitsch ist das Schlimmste, das Verlogene.«
Was sie auch auszeichnet, ist ihre Treue gegenüber der alt bewährten Handwerkskunst mit Pinsel, Farbe und Leinwand, um damit durchaus der Zeit entsprechende, moderne Kunst hervorzubringen. Sie hat auch seit frühester Ausbildungszeit immer gezeichnet und Aquarelle wie Farbstudien erstellt, indem sie nicht zuletzt schon während des Architekturstudiums zahlreiche Hochschulkurse belegte. 1984 bildete sie sich weiter in der Radierung, und ihre Freihandzeichnungen, Aktstudien, Collagen wie Aquarelle erfuhren einen neuen Entwicklungsschub. Später trat Irmela Osthus auch als Dozentin im Haus Aussel auf und unterrichtete Freihandzeichnen, Perspektive und Gestalten. Seit sechs Jahren widmet sie sich ganz der Ölmalerei.

Artikel vom 05.05.2005